"Deutschland sucht den Superstar"-Finale: Star der Generation Hartz IV
Ein wunderbar vermarktbares Gesellschaftsmärchen: Thomas Godoj, Gewinner von "Deutschland sucht den Superstar", ist ehemaliger Hartz IV-Empfänger.
Am Ende gab RTL Vollgas - und präsentierte die Entscheidung in einem emotionalen Showdown. 28.288 Kandidaten waren bereits ausgeschieden, der Sender hatte in langwierigen Prozeduren durch das Ausscheidungsverfahren geführt, und nun waren noch zwei übrig. "Deutschland sucht den Superstar", Staffel fünf - und Deutschland fand einen in Polen geborenen ehemaligen Hartz-IV-Empfänger: Thomas Godoj. Perfekt.
Dass sich die Show am Ende doch noch etwas in die Länge zog, lag daran, dass Moderator Marco Schreyl - kurz bevor er dann gegen Mitternacht das Ergebnis der Telefonabstimmung der Zuschauer verkündete - zu weinerlicher Musik zum gefühlt tausendsten Mal an diesem Abend bekannt geben musste, worum es hier eigentlich ging: die Aufladung von Biografien mit Starpotenzial.
Godoj, 30, soll - so verlas es Schreyl kurz vor Schluss der Show - schon immer versucht haben, mit Musik zu Geld zu kommen. Vergebens. Einen Plan B, neben dem Gewinn der Show, habe er für sein Leben nicht gehabt. Toll! Wie der "Superstar" der vierten Staffel, Mark Medlock, wurde auch Godoj vom Sender so zum Außenseiter stilisiert. Er durfte keine Chance gehabt haben, um die Chance, die RTL ihm mit der Suche nach dem "Superstar" bot, schließlich nutzen zu können.
Sein Sieg kann so nun also zum vermarktbaren Gesellschaftsmärchen aufgeblasen werden: Der Junge aus der Gosse (eigentlich kommt er allerdings aus Recklinghausen) ist oben angekommen und wird - das war der Beleg, den der junge Rocksänger nach der Show im Interview mit Frauke Ludowig selbst heranzog - nun sogar von Frauke Ludowig interviewt. Godoj versprühte dabei zwar den Glamour eines Abiturienten bei der mündlichen Abschlussprüfung. Aber seine Biografie macht ihn zu einer erzählbaren Figur, zu einem Star auf Zeit - und so erzählte RTL seine Geschichte immer wieder. (Genau wie die seines Finalkonkurrenten Fady Maalouf, 29, übrigens - eines Kriegsflüchtlings aus dem Libanon. Was Erzählbarkeit anging, wäre auch mit ihm nichts angebrannt.)
Thomas Godoj wird nun in diversen Fernsehshows wie "stern TV" (RTL) und bei Johannes B. Kerner auftreten. Er wird seine Tage des Ruhms bekommen. Und RTL, das große Hilfsprojekt des Bertelsmann-Konzerns, wird ihm diese dann ermöglicht haben.
Godoj wird ein Album für Sony BMG aufnehmen, das damit den einen oder anderen Euro verdienen dürfte. (Ach so, BMG steht für Bertelsmann Music Group.) Die Medienmaschine hat perfekt funktioniert. Was dank Godoj bleibt, ist die Erkenntnis: Wir sind Hartz IV. Das Fernsehen hat eine große Geschichte erzählt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag