: „Deutschland könnte helfen“
Indigene Erfahrungen könnten viel zu den westlichen Debatten über Verteilungskämpfe beitragen, sagt Edwin Vásquez Campos. Die Ureinwohner benötigten aber einen Schutz ihrer Lebensweise
INTERVIEW NICK REIMER
taz: Herr Campos, Sie kommen aus einem indigenen Dorf im Nordosten Perus. Was unterscheidet das Leben dort vom Stadtleben?
Edwin Vásquez Campos: In meinem Dorf gibt es weder Lärm noch Umweltverschmutzung. Wir holen uns das Essen entweder aus dem Fluss oder aus dem Wald. Das kostet uns nichts. In der Stadt musst du ein Haus mieten und auch für Transport, Kleidung, Gesundheit bezahlen. Wer überleben will, muss sich verkaufen. Das ist für Indigene schwer zu ertragen.
Ist das Leben im Dorf denn zukunftsfähig?
Wir brauchen sicher beides. Das Leben im Dorf zeigt der Welt außen, dass Leben ohne die Abhängigkeit des Geldes anderen Mechanismen gehorcht. Ich habe in Deutschland viele Debatten über Geldsorgen, Verteilungskämpfe, Sparvorschläge gehört. Vielleicht könnten die Erfahrungen der Indigenen etwas zur Lösung der weißen Probleme beitragen.
Bislang lief es anders: Die Weißen wollten ihre Kultur den Ureinwohnern einpflanzen. Wollen Sie diese Art der Globalisierung jetzt umdrehen?
Darum geht es nicht. Globalisierung war für die Indigenen noch nie gut. Zu uns kam sie mit den Missionaren, dann durch den Kautschuk-Boom. Heute kommt sie durch die Rohstoffindustrie. Der Unterschied ist: Damals wurden wir versklavt, verkauft und umgebracht – waren also direkt konfrontiert. Die Umweltverschmutzung durch die Erdölförderung ist heute weniger sichtbar, trotzdem sterben wir. Die Weißen betrachten uns als Primitive, von denen man nichts lernen kann. Ich sage dagegen: Schon die Missionare waren Wilde, unfähig, sich auf die hiesige Lebenswelt einzulassen.
Können die Indigenen nichts von den Europäern lernen?
Doch. Verantwortung. Wenn wir einen Baum im Regenwald fällen, töten wir dadurch zehn andere. Wenn man in Europa einen Baum fällt, werden dort zehn neue gepflanzt.
Gibt es positive Auswirkungen der Globalisierung?
Dank der weltweiten Kommunikationsvernetzung gibt es heute Menschen in Europa, die sich für unsere Probleme interessieren.
Was sind das für Probleme?
Erstens: Erdölgesellschaften wie Pluspetrol arbeiten hier auf einem sehr niedrigen technologischen Umweltstandard. Entsprechend groß sind die Schäden. Aber Umwelt heißt für uns Nahrung und Medizin. Zweitens: Die Rechte der Indigenen sind juristisch verbrieft – etwa das Recht auf Lebensraum. Daran hält sich Pluspetrol aber nicht – sie rauben, verschmutzen, missbrauchen unser Land. Nach den Gesetzen Perus ist das strafbar. Aber die Regierung vernachlässigt ihre Kontrollpflicht. Drittens gab es Absprachen zu den Förderkonzessionen: Ein Teil des Gewinnes soll den Indigenen zu Gute kommen – für Bildung und Gesundheit. Das passiert nicht.
Was für eine Unterstützung könnte Europa hier leisten?
Das einzige völkerrechtliche Instrument ist die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz indigener Völker. Zwar haben mittlerweile alle südamerikanischen Staaten diese Konvention ratifiziert. In Europa aber nur Dänemark, die Niederlande und Norwegen. Solange die EU-Staaten die Konvention nicht unterschreiben, bleibt sie ein Papiertiger.
Und wenn sie es tun?
Würde etwa Deutschland die Konvention in nationales Recht umsetzen, müssten alle seine Wirtschaftsverträge mit südamerikanischen Staaten die Kriterien erfüllen. Das würde Druck auf unsere Regierungen erzeugen: Deutsches Geld fließt nur, wenn unsere Rechte gewahrt werden. Aber die Regierung in Deutschland sagt, hier leben keine Indigenen, also brauchen wir nicht zu ratifizieren.
Die UNO-Dekade der indigenen Völker ist gerade zu Ende. Was hat sie gebracht?
Allenfalls ein Bewusstsein, dass es indigene Völker gibt. Im Namen der Ureinwohner wurden Projekte zwischen den Staaten angeschoben. Nichts davon kommt bei uns an. Das meiste Geld versickert in staatlichen oder Unternehmensstrukturen.
Wenn diese Analyse stimmt: Warum diskutieren Sie dann, diese Dekade neu aufzulegen?
Seit 14 Jahren debattiert die UNO eine Deklaration zur Anerkennung indigener Rechte. Bislang ohne Aussicht auf Erfolg. Würde sich diese Aussicht verbessern, wenn wir jetzt sagen: Wir wollen keine Neuauflage?
Warum thematisieren Sie Ihre Rechte nicht beim Internationalen Währungsfonds?
Solch ein Ansinnen ist naiv. Uns ist es binnen zehn Jahren innerhalb der UNO nicht gelungen, zählbare Ergebnisse zu erzielen. Dann wird uns das in anderen internationalen Institutionen auch nicht gelingen. Der IWF jedenfalls zeigt sich nicht interessiert.
Die Weltbank immerhin hat Richtlinien erarbeitet.
Aber sie wendet ihre eigenen Kriterien nicht an. Und bei der aktuellen Überarbeitung ist sogar eine Verschlechterung zu befürchten. Die Weltbank will Investoren viel mehr Spielraum als bisher geben. Unsere Vorschläge dagegen sind nicht gehört worden. Das heißt für uns: Die Weltbank schützt die Interessen der Wirtschaft gegen die Interessen der Indigenen. Deshalb haben sich unsere Vertreter aus Protest aus der Verhandlungskommission zurückgezogen.
Deutschland ist drittgrößter Anteilseigner der Weltbank …
Wir kennen den deutschen Einfluss, auch auf die EU. Deshalb haben wir eine Resolution an die EU-Kommission adressiert, in der wir dringend bitten, die Konvention zu ratifizieren. Wenn das passieren würde, säßen wir indirekt bei den internationalen Verhandlungen dabei.