Deutschland gegen EU-Vorschlag: Wieviel Schutz braucht die Mutter?
Die EU will den gesetzlichen Mutterschutz verlängern. Deutschland ist dagegen. Hier würde die neue Regelung weder zeitlich noch finanziell viel bringen. Sie würde vielmehr hinterherhinken.
BERLIN taz Wie können Frauen Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren? Beziehungsweise: Wie können Politik und Wirtschaft berufstätige Frauen dazu bringen, Kinder zu bekommen? Diese Frage beschäftigt die Europäische Kommission. Sozialkommissar Vladimír Spidla hat dafür vorgeschlagen, den gesetzlichen Mutterschutz europaweit anzugleichen und auf eine Mindestdauer von 18 Wochen anzuheben.
Für Deutschland würde dies eine Verlängerung um 4 Wochen bedeuten - bislang können und müssen Frauen 6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt zu Hause bleiben. Damit bildet Deutschland zusammen mit Schweden und Malta das Schlusslicht in der Europäischen Union, zum Vergleich: Irland hat 26, Bulgarien sogar 45 Wochen Mutterschutz. Doch was würde es bringen, wenn Deutschland einen Monat Mutterschutz drauflegen würde? Nichts, finden Politiker und Experten.
Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) etwa. Sie ist gegen den EU-Vorstoß und sorgt sich um die Arbeitgeber: Für die Wirtschaft wäre eine Verlängerung des Mutterschutzes teuer, das wiederum könne zum Einstellungshindernis für Frauen werden.
"Unser Hauptanliegen ist, dass wir keinen Rückschritt der Frauen am deutschen Arbeitsmarkt haben", sagte von der Leyen anlässlich eines Treffen des Ministerrats in Brüssel. Doch Mehrkosten für die Arbeitgeber taugen kaum als Argument. Denn in Deutschland wird der Mutterschutz so finanziert: Frauen bekommen während der 14 Wochen 13 Euro pro Tag von ihrer Krankenkasse. Die Differenz zum Nettolohn wird seit 2006 durch einen Fonds ausgezahlt, in den alle Arbeitgeber einzahlen, egal ob sie Frauen beschäftigen oder nicht.
"Für das einzelne Unternehmen wären die Mehrkosten durch eine Verlängerung kaum merklich", sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin und frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irmingart Schewe-Gerigk. Dass wegen des zusätzlichen Monats weniger junge Frauen eingestellt würden, bezweifelt sie.
Auch für bereits angestellte Frauen dürfte das einmonatige Mutterschutz-Plus keine zusätzlichen Nachteile haben. Zwar zeigen Studien, "dass eine längere Auszeit nach einer Geburt kontraproduktiv für das Beschäftigungsverhältnis ist", wie Susanne Steffes erklärt, die sich am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung mit Arbeitsmärkten und sozialer Sicherung beschäftigt. "Doch die vier Wochen dürften dabei nicht entscheidend sein."
Es gibt vielmehr andere Gründe, die gegen einen verlängerten Mutterschutz sprechen: Er bringt nicht viel, weder zeitlich noch finanziell. Mütter und Väter haben in Deutschland durch die Elternzeit bereits die Möglichkeit, bis zu drei Jahre zur Kinderbetreuung zu Hause zu bleiben, bis zu 14 Monate lang finanziell durch das Elterngeld gesichert.
Damit ist Deutschland im europäischen Vergleich bereits gut aufgestellt, in anderen Ländern, wie auch in Irland, beträgt die Elternzeit nur einige Wochen. "Man muss immer sehr genau schauen, was es über den Mutterschutz hinaus in den einzelnen Ländern gibt", sagt Susanne Steffes. In Deutschland würde der längere Mutterschutz auf die Elternzeit angerechnet, das heißt, zeitlich würde er für diese Familien keinen Vorteil darstellen.
Er bedeutete in anderer Hinsicht sogar einen Rückschritt: bei dem Versuch, die Rolle der Väter in der Kindererziehung zu stärken. Denn der Mutterschutz dient dem gesundheitlichen Schutz der Schwangeren beziehungsweise frisch Entbundenen. Es sind daher also nur die Frauen, die dem Arbeitsplatz nach dem EU-Vorschlag länger fernbleiben müssten, auch wenn sie das vielleicht gar nicht wollen. Bei einem freiwilligen Angebot wie der Elternzeit können sich die Partner die Betreuungszeit aufteilen, Frauen können theoretisch direkt nach 14 Wochen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.
Auch Steffes vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung formuliert daher leise Zweifel am EU-Vorschlag, diesen Zeitraum auszudehnen: "Ich weiß nicht, ob man über den Mutterschutz den Anreiz schaffen sollte, ein Kind zu bekommen. Denn über die Elternzeit können eben auch die Väter zu Hause bleiben." Zumal es ohnehin fraglich ist, inwieweit die Aussicht auf einen vier Wochen längeren Mutterschutz die Frauen aufs Wochenbett lockt.
Beruf und Familie müssen besser vereinbar werden, das ist klar. Doch eine Verlängerung des Mutterschutzes geht dabei in die falsche Richtung. Denn sie verpflichtet die Frauen, länger der Arbeit fernzubleiben. Und schwächt die Beteiligung von Männern an der Betreuung, obwohl die sich doch gerade erst dafür zu begeistern beginnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz