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■ Deutschland anonym„Ich will Kleinbürger werden“

Wie ist das, wenn man sich soviel vorgenommen hat und ...

... und es wär' dabei auch was rausgekommen. Wenn die Bonzen Olympia in Berlin nicht gecancelt hätten, wär' für mich alles anders geworden.

Moment mal: aber genau das wollten Sie doch erreichen.

Laß mich ausreden. Olympia ist futsch, damit haben die uns 'ne Menge Fun geklaut, Randale und so.

Wie gemein. Da geben „die da oben“ mal nach, und dann ist es wieder nicht recht.

Ich sag' ja gar nicht, daß es mir nicht recht ist. Nur, für mich hat sich alles geändert, ist nichts mehr wie vorher.

Als ich Sie vor einem Jahr konspirativ im Untergrund traf, waren Sie aufgemacht wie der Vorzeige-Autonome: schwarze Kluft, schwere Stiefel, trotziger Blick, und jetzt ...

... im Edel-T-Shirt mit Reebok- Sneakers, da staunste, was?

Wie die lächerliche Karikatur eines Banklehrlings sehen Sie nun aus und ...

... so was ähnliches bin ich jetzt, ich bin im Computer-Business.

Eine ziemlich rasante Entwicklung für einen, der vor ein paar Monaten noch „den Geldsäcken eins in die Fresse“ hauen wollte und ...

... die Herrschenden überall angreifen, Mollies werfen und den Scheißstaat aus den Angeln bomben wollte, für eine Gesellschaft war ohne Oben und Unten. Klassenkampf, Klassenkampf – macht dem Imperialismus Dampf!

Zumindest an die Parolen erinnern Sie sich noch, irgendwie ...

Mann, ich fänd's immer noch klasse, wenn die RAF oder sonstwer irgendein spektakuläres Ding fingern täte. Da würde ich mich freuen – aber klammheimlich. Doch für mich ist die Zeit der Revolutionsromantik vorbei. Ich bin zu lange im Kampfanzug gesteckt...

„Ich wollte den Scheißstaat aus den Angeln bomben“, sagt René. Kämpfte der 23jährige im vergangenen Jahr noch aktiv gegen die geplanten Olympischen Spiele in Berlin, lächelt der Ex-DDRler heute über seine ungestüme Wut von damals. Er hat längst eine neue Kampfperspektive: Geld machen, nach oben kommen.

Schön pathetisch können Sie den Ausverkauf Ihrer Ideale formulieren.

Kerl, du hast ja keine Ahnung.

Vor einem Jahr schon war ich der Scheißliberale, den man nach der Revolution an die Laterne ...

Hey, Mann, ich war der wilde Kerl, ich hab' dazugelernt: Ich bin nicht mehr so arrogant.

Aber wieder einmal wissen Sie genau, wo's langgeht.

Ich will was vom Kuchen abhaben – für mich, und das sofort. Ich will niemand mehr missionieren, das ist doch alles Quatsch. Ich bin jetzt auf meinem ganz persönlichen Glückstrip.

Und im Oktober machen Sie Ihr Kreuz hinter Kohl und stimmen für den großen Aufschwung.

Wahlen sind mir schon immer kalt am Arsch vorbeigegangen. Nein, mein ganzes Leben bin ich rumgeschubst worden, war immer in der Opposition. In der DDR war ich nicht in der FDJ, bumm, dafür gab's eins auf die Schnauze; dann war ich Punk, klatsch, dafür gab's eins in die Fresse; dann kamen die gelackten Westsäcke, batsch, haben sie mich wieder platt gemacht.

Mir kommen die Tränen.

Halt dich bloß zurück. Ich will nur sagen, daß ich mein Widerstandspotential aufgebraucht habe. Ich hab' keine Illusionen mehr, wie das Karnickel im Kapitalismus läuft. Jetzt lass' ich das Karnickel laufen.

Im vergangenen Jahr war Thomas Ebermann für Sie noch einer „von diesen vollgefressenen Typen, die ihren Frieden mit dem System gemacht haben“. Auf „so einen Arsch“ müßte man nicht hören ...

Okay, okay, ich bin jetzt der Arsch – meine alten Genossen haben mich aus der WG rausgeworfen, „du stinkst“, haben die gesagt. Mir geht halt keiner mehr ab, wenn ich irgendwo Slogans hinspraye oder Bauwagen abfackle – da gehe ich lieber ins Fitneßstudio. Wo gibt es denn noch Kämpfe gegen die Scheiße um uns rum? Ich bin 23, okay, ich hab' mich arrangiert: Kampfperspektive Kleinbürger. Ich bin der wahre Radikale. Interview: Arno Luik

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