Deutsches Drama: Der verprügelte Ehemann
In seinem Film "Gegenüber" erzählt Jan Bonny von einem stoisch passiven Polizisten, der von seiner Frau geschlagen wird.
Irgendwas ist dran an sogenannten "häuslichen Dramen", das besonderes Unwohlsein bereitet. Wahrscheinlich hat es mit dem kollektiven Traumbild von Familie zu tun: Man empfindet es als tragisch, wenn sich die angenommene Normalität als ihr Gegenteil entpuppt. Spricht man von "häuslicher Gewalt", heißt das meistens, dass ein Mann seine Frau schlägt; in "Gegenüber" jedoch ist es anders: Hier wird Georg (Matthias Brandt) von seiner Frau Anne (Victoria Trauttmannsdorff) geschlagen.
Der Anfang des Films zeigt Georg bei einem gefährlichen Arbeitseinsatz: Der Polizist wird vorgeschickt, um mit einem bewaffneten Verdächtigen zu verhandeln. In diesen ersten Szenen lernt der Zuschauer Georg als jemanden kennen, der unter größter Belastung die Ruhe bewahren kann und zu mutigen Taten fähig ist. Doch schon sehr bald stellt sich heraus, dass sich sein Mut darin erschöpft, es allen recht machen zu wollen. Seine Fähigkeit zum Ruhe bewahren hat eine nervige Seite. Dahinter verbirgt sich die Unfähigkeit, seine eigenen Gefühle zu zeigen und auf die Gefühle anderer zu reagieren. Georgs Innerstes ist deshalb selbst für ihn nur schwer zu durchschauen. Als er wegen seiner heldenhaften Aktion befördert wird, schämt er sich mehr, als dass er sich freut. Außerdem hat er Angst vor dem Neid eines Kollegen, der fest damit gerechnet hat, selbst befördert zu werden. Matthias Brandt verleiht diesem Georg ein solches Übermaß an bärenhafter Defensivität, dass der Zuschauer, lang bevor Anne das erste Mal richtig zuschlägt, selbst schon Aggression gegen ihn empfindet.
Erst nach und nach lässt Regisseur Jan Bonny in seinem Debütfilm die gewalttätigen Impulse bei Anne eskalieren. Es beginnt mit kleinen Missverständnissen zwischen den Eheleuten. Anne fühlt sich gekränkt, weil Georg ihr nichts von der Beförderung gesagt hat. Dann schmeißt der Sohn sein Studium, Georg will die Aufgabe übernehmen, es der Mutter mitzuteilen. Es ist eine Qual mitanzusehen, wie er davor immer wieder zurückschreckt und mit jedem Mal die mögliche und wahrscheinliche Reaktion von Anne bedrohlicher wird - bis ein solches Geständnis ganz und gar unmöglich scheint.
Unwohlsein prägt den Film durch und durch. Tatsächlich findet sich dieses Unwohlsein in jeder Szene gleich dreifach inszeniert. Die Aufnahmen sind von jener verwaschenen Qualität, die für Authentizität steht, weil die Kamera den Figuren nah auf den Leib rückt, auch da, wo das lichttechnisch keinen Sinn mehr hat. Oft sind sie nur im Anschnitt über der Schulter zu sehen, ganz so, als ob ein Close-up die Illusion des Echten zerstören könnte.
Unwohlsein strahlt auch die Einrichtung der Wohnung aus, in der Anne und Georg leben. Der Polizist und die Lehrerin haben sich mit jener Mischung aus spießig und pragmatisch umgeben, die auf jede spontane Regung erstickende Wirkung hat. Unwohlsein drücken folgerichtig selbst die Körper der Protagonisten aus: Matthias Brandt hält als Georg den ganzen Film über den Kopf eingezogen, während Victoria Trauttmansdorff ihr Kinn neurotisch zittern lässt.
In dieser Wiederholung desselben auf allen Ebenen liegt die große Schwäche dieses ansonsten sehr starken Films. Die vielfache Begründung des Unwohlseins führt dazu, dass die Begründungen sich gegenseitig überflüssig machen. Das Seltsame und über alles inszenatorische Ungeschick hinweg Interessante an "Gegenüber" aber ist letztlich, dass man für Georg weit weniger Mitleid empfindet, als man das sollte.
Die Prügelorgien von Anne und Georg erweisen sich als Exzess, in dem sich auf paradox wohltuende Weise die der Beziehung inne wohnende Ambivalenz entlädt. Tatsächlich nämlich wird in Brandts Darstellung des geschlagenen Ehemanns sichtbar, dass er sich gerade dort als endlich stark erlebt, wo er seine prügelnde Frau stumm erträgt. Und Victoria Trauttmannsdorff zeigt an ihrer Anne, dass sie ihrem Georg genau diesen Triumph nicht können kann und deshalb weiterschlägt.
"Gegenüber", Regie: Jan Bonny, mit Matthias Brandt, Victoria Trauttmannsdorff u. a., Deutschland 2007, 96. Min.
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