Deutscher Gartenzwerg

Auf den Spuren eines merkwürdigen Wesens  ■ Von Gabriele Goettle

Die anfängliche Freude über den Untergang des Kommunismus ist, zumindest bei den Gartenzwergfabrikanten, unterdessen geringer als der Ärger, den rücksichtslose Anwendung der freien Marktwirtschaft durch ehemalige Kommunisten verursacht. Zwar setzte die Wiedervereinigung der deutschen Gartenzwerge dem Valutazwerg und seinen Dumpingpreisen ein Ende, doch bald schon drängten polnische Anbieter mit ihren spottbilligen Produkten auf den deutschen Markt und sorgten für schwere Verstimmung in der Branche. Deutsche Gartenzwerghersteller beschlossen, auf juristischem Wege gegen die Billigkopien vorzugehen. Obgleich der Gartenzwerg als solcher nicht patentierbar ist, gelang es doch, ihn als „Geschmacksmuster“ schützen zu lassen. Seither steht der polnische Gartenzwerg auf der Fahndungsliste des deutschen Zolls, die Beamten arbeiten mit Fahndungsfotos, auf denen unsere traditionellen und modernen Zwergvarianten abgelichtet sind, zum Vergleich, zur Überprüfung und Sicherung der Falsifikate. Verdächtige Polenzwerge werden sofort beschlagnahmt, gesammelt und in eigens für diesen Zweck bereitstehenden Containern massenhaft zertrümmert, um den Bösewicht ein für allemal aus dem Verkehr zu ziehen.

Wir beschlossen angesichts dessen, dem Phantom etwas genauer nachzuspüren und machten uns auf die Reise zur Wiege des deutschen Gartenzwerges, in den Thüringer Wald.

Gräfenroda liegt am Nordhang des Thüringer Waldes im Tal der Wilden Gera. Der Ort hat viereinhalbtausend Einwohner, die traditionell vor allem Tonwaren, Keramik und Glaserzeugnisse produzierten. Es gibt auch eine Zentralbibliothek und ein Schwimmbad, das in den zwanziger Jahren wegen der fleißigen Nutzung durch den Arbeitersportverein „Rote Schwemme“ genannt wurde. 1990 feierte Gräfenroda sein 700jähriges Bestehen. Eine kleine Festschrift schildert sehr anschaulich die mühselige Entwicklung der Rodungssiedlung im Verlauf der Jahrhunderte, den Prozeß der Kienruß- und Pechgewinnung, die Anfänge der Industrialisierung, den Reichtum und die zurückbleibenden Armen, Gründung von Glashütte, Tierkeramik, Gartenzwergherstellung und Porzellanfabrik Ende des 18. Jahrhunderts, Fortentwicklung durch zwei Weltkriege hindurch und in der DDR! Daß im Jubiläumsjahr zugleich die DDR aufhören würde zu existieren, konnte der pensionierte Lehrer Rainer Abendroth freilich nicht ahnen, als er die Festschrift abfaßte. Heute sind ehemals große Betriebe dicht, kleine eingegangen. Die Arbeitslosenrate ist dementsprechend hoch.

„Deutscher Hof“, hier hat Ende der zwanziger Jahre das Arbeitertheater sein Stück „Die Internationale“ geprobt und aufgeführt. Heute schwebt noch ein Hauch von DDR-Sozialismus im Gastraum. Der Wirt sagt: „Zwergen- Griebel suchen Sie? Der war bis eben noch hier und hat sein Mittag gehalten, ich such' Ihnen mal die Nummer raus. Na, wie heißt denn der ... nein, Günther heißt der nicht, Günther heißt der Bäcker, Philipp heißt er doch!“ Die anwesenden drei Gäste nicken. Schon wird uns ein Handy an den Wirtshaustisch serviert, wir wissen aber nicht wie man es bedient. Der Wirt ist gern behilflich.

Wenig später stehen wir schräg vis-à-vis vor dem zwergengeschmückten Hoftor eines alten Bauernhauses. Herr Griebel öffnet und führt uns nach einem freundlichen Empfang durch den Hof und eine Holztreppe hinauf. Hinter jedem Fenster stehen Zwerge. Wir betreten einen langgestreckten hellen Raum voller Holzregale und Tische, auf denen Unmengen von Zwergen aus gebranntem Ton, teils unbemalt, teils bemalt, der weiteren Bearbeitung harren. Es riecht scharf nach Lack und Verdünner. Eine Frau, wie sich herausstellt, die Gattin des Hausherrn, bemalt gerade einen Posten.

Gefragt nach der polnischen Konkurrenz, bleibt Herr Griebel erstaunlich gelassen: „Sie ist für uns sehr geschäftsschädigend, die Kunden kommen zu uns und wollen einen Zwerg kaufen, zu Preisen wie drüben, auf den Polenmärkten. Sie verstehen nicht, daß es hier viel mehr kosten muß. Dann ist die Fälschung das andere Problem. Die polnischen sind ja unseren Gräfenrodaer Zwergen direkt nachgebildet, wenn auch oft stark vergrößert. Bei uns kostet der blaue dort soviel wie in Polen ein großer.“ Frau Griebel deutet mit dem Pinsel auf einen kleinen Zwerg und ergänzt: „Für einen halbmeterhohen nehmen sie 23 Mark.“ Herr Griebel fährt fort:

„Für unsere Preise hier, kann man sagen, gibt es ein Prinzip: ein Zentimeter Zwerg für eine Mark! Wenn natürlich noch mehr dran ist, die Holzschubkarre beispielsweise – die wird nämlich in Heimarbeit gemacht, genauso die Angel – dann kommt noch Geld hinzu, weil ja die Arbeit wesentlich mehr ist. Da muß man dann im Einzelnen schon bis hundert Mark oder auch mehr ausgeben. Dafür bekommen Sie vier polnische, doch damit werden Sie nicht viel Freude haben. Das weiß der Kunde natürlich nicht. Einmal deshalb, weil sie aus Gips sind – unsere sind ausschließlich Hartbrandware – so ein Gipszwerg, der fällt um und ist entzwei, oder er wird feucht innen und löst sich auf. Gern wird sowas auch von Ameisen aufgefressen, weil die brauchen den Kalk! Bei uns bekommen unzufriedene Kunden ein richtiges Original, sehr haltbar. Damit hat man ein Leben lang Freude, denn kaputt gehen die auch nicht so schnell.“ Er nimmt einen unbemalten Pfeifenraucher aus dem Regal und schlägt ihn derb gegen die Tischkante. „Seh'n Sie“, sagt er zufrieden, „nichts ist passiert, und wenn doch mal ein Mißgeschick ... und die Zipfelmütze abbricht, dann läßt sich die ganz leicht wieder ankleben. Ohne diese Qualität gäb's längst keine Gartenzwerge mehr. Das ist nun 120 Jahre her, seit hier der erste Gartenzwerg überhaupt entstanden ist. Mein Urgroßvater hat ihn gemacht, Philipp Griebel, das war mein Urgroßvater. Mein Großvater, Wendelin Griebel, führte den Betrieb dann bis zu seinem Tod weiter – bis fast zum Ende des Zweiten Weltkriegs – dann kam die Generation der Väter dran, und nun ich, Reinhard Griebel. Es gibt noch einen Cousin, der sitzt in Süddeutschland, in Rot am See, der macht auch Zwerge, aber mehr so die modernen Sachen, Politzwerge hat er gemacht, auch Sexzwerge und sowas. Er ist sehr begabt und modelliert alles selbst. Das ist der Günther Griebel, seit 1991 hat er ein eigenes Zwergenmuseum, das sollten Sie sich mal anschauen, falls Sie in die Gegend kommen.

Mein Urgroßvater hat professionell modelliert. Vierzehn Jahre hatte er bei Dornheim Tiere und Hirschköpfe gemacht – Hirschköpfe aus Ton waren das, auf die wurde dann das Originalgeweih draufgesetzt. Die hatte der Dornheim selbst erfunden, sowas war sehr gefragt, also als Trophäe wurden sie aufgehängt, weil man damals beides noch zusammen haben wollte: Kopf und Geweih. Heute genügt ja nur das Geweih allein. Und mein Urgroßvater hat sich dann selbständig gemacht, mit Gartenfiguren wie sie üblich waren, also mit Pilzen, Hunden, Rehen, Hasen. Und dazu kamen die Zwerge, so, wie sie jetzt auch noch sind, im Prinzip, nur eben mit Naturfarben bemalt. Die ganze Bekleidung vom Zwerg ist ja eine Bergmannsbekleidung, wissen Sie, eben deshalb haben sie oft eine Laterne in der Hand oder Bergmannswerkzeug, und die rote Zipfelmütze war von alters her das Signal bei dem Bergmann und ist es beim Zwerg bis heute geblieben. Wir machen hier eigentlich vorwiegend die konventionellen Zwerge. Am beliebtesten von allen ist der Zwerg der arbeitet, ein Zwerg mit Schubkarre, darüber gab's sogar drüben bei Ihnen eine Umfrage von so einem Meinungsforschungsinstitut.

So, jetzt zeige ich Ihnen die Produktion. Hier oben also ist die Bemalung, das geht alles manufakturmäßig bei uns, vom ersten bis zum letzten Arbeitsgang. Im Moment haben wir sieben Arbeitskräfte und auch noch Heimarbeiter. Die Auftragslage ist ziemlich schwankend, will ich mal sagen. Auslandsanfragen sind auch da, also aus Österreich, aus Dänemark ... wir müssen scharf kalkulieren mit den Preisen, weil ja eine Menge an Kosten drinsteckt, ganz besonders für die Elektroenergie. Aber auch die Rohstoffkosten für Ton, Gips und Farben und dann natürlich die Löhne ... es ist nicht einfach.“ Wir gehen hinunter ins Parterre, wo die übrigen Fertigungsräume sind. Herr Griebel zeigt uns die Gipsformen, die aus zwei oder mehreren Teilen bestehen, je nach Schwierigkeitsgrad der Figur. „Das sind alles unsere Formen hier, wir arbeiten ausschließlich mit Gipsformen, Kunststoff oder Kautschuk können wir gar nicht einsetzen, weil wir ja mit Ton ausgießen. Wir haben alte Formen für das traditionelle Sortiment und von denen stelle ich immer wieder neue her, denn sie verbrauchen sich ja mit der Zeit. Den Ton beziehen wir aus dem Westerwald seit der Wende. Früher haben wir nur Ton von hier verwendet, den gibt's aber nicht mehr. Ganz früher wurde hier direkt aus den Gräfenrodaer Tongruben entnommen, die Brennöfen heizte man mit Stubbenholz – das sind die stehengebliebenen Wurzeln auf den Rodungsflächen. Also dieser Ton hier, er ist auch nach dem Brennen noch dunkelbraun. Der Vorgang selbst ist schnell erklärt, die Tonmasse wird in die Gipsformen gegossen, dort

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bindet sie ab – denn der poröse Gips nimmt ja die Feuchtigkeit auf – und nach zwanzig Minuten gießen wir die Form wieder aus. Innen verbleibt eine dünne Schicht die nach zwei Tagen so weit gefestigt ist, daß wir sie vorsichtig herausnehmen können, wir haben damit den sogenannten Rohling. Die Gußnähte werden ganz abgeschnitten und geglättet, danach folgt das Trocknen und darauf dann das Brennen bei tausend Grad Celsius.“

Während ich mit Herrn Griebel bei den Gipsformen bin, macht Elisabeth Fotos und spricht mit zwei Arbeiterinnen. Die eine der jungen Frauen beschneidet Gußnähte, eine andere wäscht die Zwerge mit einem Schwamm.

E.: Wie viele Zwerge waschen Sie denn so pro Tag?

Arbeiterin: Nun, mal sind es zwanzig, es können aber auch fünfzig sein, es kommt auf die Größe an ... waschen könnte ich hundert, wenn ich den ganzen Tag wasche, aber viel ist ja nicht zu tun im Moment ...

E.: (zur zweiten Arbeiterin) Darf ich bei Ihnen mal zuschaun, wie Sie die Naht abschneiden?

Arbeiterin: (kichernd) Ja, sicher ... das ist nicht schwer, ich muß nur aufpassen, daß ich nicht zu tief reinkommen, aber ich mach' das fast im Schlaf.

E.: Gibt's dafür ein eigenes Werkzeug?

Arbeiterin: Nee, das ist ein ganz normales Küchenmesser, auf beiden Seiten spitz zugeschliffen.

Im Verkaufsraum, dem sogenannten Zwergenstübchen, treffen wir wieder zusammen und lassen uns die gesamte Kollektion zeigen. Hier stehen auch einige Stücke aus der Kollektion des Cousins. Unter den ostdeutschen Wichteln wirken sie merkwürdig deplaziert, wie angetrunkene Sextouristen, die sich verlaufen haben. Herr Griebel ist stolz auf den Cousin: „Leider habe ich nicht so eine Begabung wie mein Cousin, also bleiben wir erst mal bei unserer bewährten Produktion. Wir sind froh, daß der Betrieb überhaupt noch existiert, denn ein paarmal stand er unmittelbar vor dem Aus. Beispielsweise damals nach dem Krieg, 1948 entzog das Ministerium für Wirtschaft in Thüringen die Genehmigung zur Weiterproduktion. Das Verbot wurde 1950 wieder aufgehoben, mit der Auflage allerdings, daß nur für den Export produziert werden darf. Bis 1952 gab's ein totales Absatzverbot für die DDR, danach wurde es gelockert, aber die Kontingente waren immer so knapp bemessen, daß der Gartenzwerg eine rare und heißbegehrte Ware blieb. Das meiste ging nach Westdeutschland, gegen Devisen. Der Betrieb war ja zuerst noch privat, dann halbstaatlich, und in den siebziger Jahren wurde alles verstaatlicht und war dann Teil des VEB Keramik, also die Zwerge wurden von uns eingebracht. Die Keramik hat später dann auch noch eigene Zwerge gemacht, aber aus Plastik. Ich habe übrigens früher auch in diesem VEB gearbeitet, aber in einem anderen Bereich, dort wurden Keramiksachen gemacht.

Wissen Sie, für mich war schon, als ich noch ein kleiner Bub war, klar, daß ich eines Tages den Betrieb übernehmen und Gartenzwerge erzeugen will. Deshalb habe ich dann nach der Wende hier alles in die Hand genommen und aufgebaut – wir zusammen, meine Frau und ich – das war 1990, und Sie können sich vielleicht denken, daß hier alles kaputt war. Nach der Verstaatlichung, 1972, wurden ja keinerlei Investitionen mehr getätigt, und wenn sowas fast zwanzig Jahre nicht gepflegt wird, dann ist das eine lange Zeit. Das Dach war kaputt, Leitungen defekt, Heizungen, alles. Wir sind immer noch nicht fertig, Sie sehen es ja. Ganz früher war das mal ein Bauernhof, diese U-förmigen Höfe hatte man hier überwiegend. Es wurde mehrmals umgebaut im Laufe der Zeit. Schaun Sie mal, dort drüben unter dem Vordach, dort sehen Sie noch, wie man einmal alte Gipsformen mit eingemauert hat. Das war billiges Baumaterial und isoliert gut. Seit 1994 stehen wir nun wieder im Grundbuch. Wir haben vielleicht eine Chance, man weiß es ja nicht, aber weil wir ein alter Betrieb sind mit einem guten Namen, ein Familienbetrieb, und die alten Sachen machen, die die Leute schon von Kindesbeinen an kennen, und auch deren Eltern kannten sie ... vielleicht bewirkt das ja etwas. Wir haben, wie gesagt, etwas über die Hälfte der alten Formen retten können, zum Glück, den Rest müssen wir uns eben nach und nach wieder erarbeiten. Vielleicht werden wir ja allmählich sowas wie eine Touristenattraktion, mit dem Zwergenstübchen meiner Frau. Hier ist die ganze Produktpalette zum Sehen und Anfassen. Dann haben wir auch noch, zusammen mit dem Fremdenverkehrsverein und anderen traditionsreichen Gräfenrodaer Handwerkern, dieses Programm laufen: ,Urlaub bei Thüringer Handwerkern‘. Den Touristen wird damit die Möglichkeit geboten, das Handwerk etwas näher kennenzulernen und auch mal selbst etwas auszuprobieren. Bei uns gibt's einen Minilehrgang. Für fünfzig Mark die Stunde ... alles inklusive – kann jeder seinen eigenen Zwerg gestalten. Und wer sich das nicht zutraut, der hat hier Gelegenheit, einen bei uns zu kaufen, ein Stück traditionsreiche Geschichte, direkt vom Erzeuger.“

Mehr aus Höflichkeit als aus Neigung, erstanden wir einen kleinen, unbemalten, angelnden Zwerg. Später, zu Hause, ließ ich mich sogar dazu hinreißen, ihn zu bemalen, wobei ich diese merkwürdige Belustigung verspürte, die immer dann auftritt, wenn man sich hohnlachend vom kleinbürgerlichen Spießertum zu distanzieren trachtet. Während ich das Gesicht des Zwerges bemalte, fielen mir wieder die Gesichter der Gräfenrodaer Zwerge ein, mit diesem rätselhaft zweideutigen Lächeln, dem ins Unbestimmte gerichteten Blick bei den älteren Modellen, und dem immer breiter werdenden Grinsen voll übertriebener Verschmitzheit bei den neueren Westzwergen. Die Mimik wird offenbar drastischer in dem Maße, in dem die stumme Botschaft in Vergessenheit gerät. Doch was für eine Botschaft!

Als erstes legte ich mir eine Art Gartenzwergschema zurecht. Habitus: Traditionell männlichen Geschlechtes, zwanzig bis fünfzig Zentimeter groß, alt bis ältlich mit juvenilen Zügen, stets bärtig und zwar in gelockter Form, lächelnd und wohlproportioniert. Kleidung: Rote, meist aufgerichtete Zipfelmütze (die bei älteren Modellen oft bis weit über den Nacken hinabreicht), Wams oder Weste, eng anliegendes Beinkleid, oft einen Lederschurz, schwarze Halbschuhe. Accessoires: Laterne, Kreuzhacke, Schubkarre, Gießkanne, Axt, Spaten, Tabakspfeife, Spielkarten, Ziehharmonika, Angel, ein Buch, Reh, Frosch, Fliegenpilz. Szenerie: Gartenzwerge werden nicht einzeln präsentiert, sondern immer zu mehreren. In geselliger Weise in Szene gesetzt, arbeitend, Pfeife rauchend, spielend, vermitteln sie ein Bild harmonischer Eintracht.

Merkwürdig ist, daß diese schlichte Ausstattung sich so lange gehalten hat (sieht man einmal ab von den Versuchen, Politiker, Exhibitionisten und Erstochene gartenzwergartig in die deutschen Vorgärten und unter die Kunden zu bringen). Offenbar funktioniert es nicht. Ich jedenfalls kann mich nicht erinnern, sie im Sommer in einem der Schrebergärten gesehen zu haben. Gartenzwerge, vor dem Fernseher sitzend, mit Zigarette, Sonnenbrille, Handy, Bierbüchse, in Badehose, mit Rasenmäher, das scheint nicht vorstellbar beziehungsweise wird geradezu abgelehnt. Anscheinend sind Kleidermoden, moderne Technik, Automation und sogar das ganze Christentum spurlos am Gartenzwerg vorbeigegangen. Nichts davon findet sich bei ihm wieder. Aber weshalb steht so etwas in zahllosen deutschen Vor- und Schrebergärten, ein Sinnbild der Zurückgebliebenheit, von zweifelhafter Moral?

Ich beschloß, mich ein bißchen sachkundig zu machen. Literatur zum Thema Gartenzwerg gibt es nicht allzuviel, einiges ist aber erstaunlich ausführlich. Meine ersten Ahnungen, daß irgendwas nicht stimmt mit dem Zwerg, wurden zur Gewißheit. Und so fing ich, an kreuz und quer in angrenzenden Gebieten weiterzustöbern. Da gibt es fast nur noch trockene akademische Arbeiten; über den Zwerg in der nordisch-germanischen Mythologie, in der deutschen Heldendichtung des Mittelalters, bei den Dichtern der Romantik, in der Rassenkunde des Dritten Reiches. Dazwischen geriet mir noch eine Geschichte des Goldes, Alfred Sohn-Rethel, sowie ein Handbuch zur Bestimmung der europäischen Naturgeister. Ich erwähne das nicht, um den Ergebnis Nachdruck zu verleihen, sondern im Gegenteil, um zu illustrieren, wie aus dem harmlosen Gedankengang ein haltloser Sturz ins Material wurde. Soweit es mir gelungen ist ein wenig Ordnung in den Fundsachen herzustellen, will ich versuchen sie wiederzugeben:

Es hat Vorgänger unseres Gartenzwerges gegeben. Sie sind aus Stein und stehen in feudalen Barockgärten in Österreich und Süddeutschland. Die Fachleute streiten über den Grad der Verwandtschaft, sicher ist aber, daß diese Zwerge, die bereits in der Spätrenaissance griechische Götterskulpturen von ihren Sockeln in den italienischen Villengärten verdrängten, als Vorbild den Hofzwerg hatten. Eine wirkliche Zwergenleidenschaft scheint Adel und Großbürgertum am Anfang des 18. Jahrhunderts ergriffen zu haben. Nach den Zwergenblättern des Zeichners und Kupferstechers Callot, die zu diesem Zeitpunkt bereits hundert Jahre alt waren, entstanden Zwergenskulpturen, die ihren Reiz offensichtlich darin hatten, daß sie Mitglieder der Hofgesellschaft in grotesker Weise darstellten. So entstanden ganze Zwergengärten, die weithin berühmt waren. Von Gnomen mit roten Zipfelmützen ist aus dieser Zeit nichts bekannt, Callots „Gobbi“-Nachkommen trugen die typischen Merkmale schwerer Wachstumsstörungen. Anscheinend hat die Aufklärung auch hierzulande für einen Personalwechsel auf den Skulpturensockeln gesorgt (sicher ein merkwürdiges Zusammentreffen, waren doch zwei unserer eigenartigsten Aufklärer, Lichtenberg und Kant, bucklig und von kleiner Gestalt). Aber vielleicht paßten die ungeschlacht komischen Skulpturen nur noch zum Geschmack des Rokoko.

Die Zwerge der Romantik und des Biedermeier stehen nicht in Gärten, sondern auf dem Papier, es sind die Naturgeister und Alben aus Mythen, Sagen, Dichtung und Mähren. Sie sind uns in dieser oder jener Form eben so bekannt, wie die eine oder andere Reklame, in der man von der Gründerzeit an massenhaft Zwerge als Werbemotiv für neue Markenartikel einsetzte. Wobei es hier weniger um romantische Reminiszenzen ging, als vielmehr um die Anspielung auf eine übermenschliche Leistungsfähigkeit und magische Kräfte. Sie waren wohl bitter nötig, im zunehmend brutaler werdenden Kapitalismus. Genau in diese Zeit des Umbruchs, der rasanten Entwicklung Deutschlands von einem Agrar- zu einem Industriestaat, fällt das erste Auftauchen eines Gartenzwerges. Vermutet wird, daß er aus Böhmen kam.

Zufällig fiel mir auf, daß anscheinend das Zwergenmotiv gern im Zusammenhang mit einem historischen Bruch auftaucht. In der germanischen Mythologie wird der Untergang des goldenen Zeitalters folgendermaßen geschildert: Die Asen, allesamt Götter, lebten in heiterer Sorglosigkeit, schmiedeten Erz und meißelten Holz. Gold hatten sie in Hülle und Fülle, sie bearbeiteten es, schätzten seinen Glanz, kannten aber keinen über diese natürlichen Eigenschaften hinausgehenden Wert. Da schufen sie das Zwergengeschlecht, das zahlreich war, unter der Erde nach den Schätzen wühlte und sie zu Tage förderte. Die Asen schauten immer lüsterner auf den glänzenden Hort, und damit ging ihre Unschuld verloren. Das Goldzeitalter war zu Ende. Die Goldgier, dargestellt als wunderschöne Zauberin, wanderte zu den sterblichen Menschen und steckte sie an. „Du begehrst ein Schwert – und willig sich entrollt Waffenglanz, wenn du entbietest flammend Gold.“ Das ist der Sündenfall. Der Wertcharakter des Goldes entstand durch die Ausbeutung fremder Arbeitskraft.

Die Mythenbildung der Völker hat den Sündenfall aufbewahrt, die Mythen wandern bei seiner Ausbreitung mit und werden modifiziert. Für weite Verbreitung haben wohl als erste die Phönizier gesorgt. Sogar hoch oben im Norden sollen sie aufgetaucht sein in Begleitung von Zwergen, die für sie Minen und Schmelzen anlegen mußten. Die Verbindung der Zwerge mit unterirdischen Schätzen hat als ganz materielle Grundlage ihre jahrtausendelange Nutzung für den Bergbau, den Mißbrauch ihrer körperlichen Eigenart und hart erworbener Kenntnisse. Viele legendäre Reiche scheinen sich ihrer bedient zu haben, insbesondere durch viele Dynastien hindurch die Ägypter. Wahrscheinlich wurde der Kenntnisreichtum der Zwerge zugleich zu einer magischen Eigenschaft, die sie heraushob aus dem reinen Sklavendasein.

Der altägyptische Weltbildner und Bergwerksgott Ptah wird in Abbildungen stets begleitet von zwergenhaften Bergleuten gezeigt. Gearbeitet, im Sinne schwerer körperlicher Schinderei, haben aber wohl vor allem die massenhaft zu Sklaven gemachten Unterworfenen. Wie ungeheuer der Verbrauch an Sklaven allein zur Gewinnung der Edelmetalle gewesen sein muß, zeigt sich auch daran, daß die Werkzeuge über Jahrtausende kaum verändert wurden. Die menschliche Maschine, stets und umstandslos erneuerbar, machte technischen Fortschritt überflüssig. Der ägyptische Goldreichtum war so sagenhaft, daß Herodot beschrieb, wie selbst die Gefangenen goldene Fesseln erhielten. Symbolisch war auch das Lob der Zwerge.

Erfinder der Metallkultur sind nach altgriechischer Überlieferung die Daktylen (Fingermännchen), die man sich als Genossen des Schmiedegottes Hephaistos vorstellte, mit dem sie auf dem kretischen Berg Ida hausten und arbeiteten. Der verstoßene und verkrüppelte Gott des Feuers und seine Zwerge schmiedeten kunstvoll die merkwürdigsten Dinge, beispielsweise die Pfeile des Eros, den Wagen des Helios. Tatsächlich aber soll das aufstrebende minoische Reich ganze Zwergenexpeditionen auf die Suche geschickt haben. Durch den Balkan und über die Karpaten sind sie wohl auch durch Thüringen und weiter nach Westen gezogen, in die Gegend des Rothaargebirges. Dort fand man „Daktylenstollen“ und kleine Werkzeuge.

Enormer Goldbedarf war die Triebfeder der mächtigen und aufstrebenden alten Kulturen. Ihre häufigste Technik der Goldgewinnung bestand wohl in der direkten Aneignung durch Krieg, Raub und Plünderung. Entsprechend veränderten sich Kultur- und Sprachraum in ungeheurem Ausmaß. Und obgleich auch die Zwerge vom Sog der untergehenden Reiche erfaßt worden sein müssen, tauchten sie doch immer wieder auf, besonders in Zeiten verschärfter Umwälzungen. Irgendwann kamen sie dann auch mit dem Mysterienkult um den Licht- und Sonnengott Mithra in Berührung, bei diesen Kulthandlungen wurden rote Mützen getragen und Rauschdrogen aus Fliegenpilzgift eingenommen. Velkovskys Katastrophentheorie sollte man wirklich mal aus der Zwergenperspektive lesen.

Die Mütze jedenfalls, bis in die Neuzeit zur Bergmannskleidung gehörend, hat auf dem Kopf unserer Gartenzwerge die Katastrophen und Zeiten überdauert. Was verächtlich als Kitschfigur gilt, ist in Wahrheit ein Denkmal an einen Verstoß, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (nur im Märchen transportieren Zwerge Gold und Silber wieder in die Berge zurück und gießen es glühend in die Stollen). Als symbolischer Hüter der längst gehobenen Schätze erinnert der Gartenzwerg von fern noch an einen berechtigten Anspruch auf Teilung des Schatzes.