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Archiv-Artikel

Deutscher Eintopf

DAS SCHLAGLOCH von MICHAEL RUTSCHKY

Einwanderer mischen eine Gegend ökonomisch und kulturell auf, und das ist auch gut so

Die Bundesregierung war angetreten, mit der Aufhebung des Anwerbestopps von 1973 der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Schon heute existieren über 30 Ausnahmetatbestände zum Anwerbestopp. Im Jahr 2002 wurden nach der Anwerbestoppausnahmeverordnung 380.000 Arbeitserlaubnisse erteilt. Jetzt soll die Aufhebung des generellen Anwerbestopps auf Druck der Union im Vermittlungsausschuss gestrichen werden. Gleichzeitig fordern CDU- Politiker wie die hessische Sozialministerin weitere Ausnahmeregelungen für Pflegekräfte aus Osteuropa – allerdings befristet auf drei Jahre. Dies zeigt, dass die Union noch immer am längst gescheiterten Konzept des „Gastarbeiters auf Zeit“ festhält … Frankfurter Rundschau, 29. 4.

Ungefähr zweimal im Jahr kommt es zu Abenden mit Amerikanern, essen und trinken und reden, die genauen Umstände tun nichts zur Sache.

Diesmal war Gomez dabei, aus Miami, Florida, ein prachtvoller Mann mit großem Kopf und dicken Haaren. Aus einer kubanischen Familie stammend und in die Politik der Exilkubaner in Miami, Florida, tief verstrickt. Er wusste von Fidel Castro persönlich das Versprechen zu überliefern, es warte immer eine stille, kleine Gefängniszelle auf ihn in Havanna – und damit sind wir bei einem Zentralthema des Abends, sofern er sich um Gomez drehte.

Er fand erst jetzt heraus, dass er sich das Verhältnis von West- und Ostdeutschland, von West- und Ostberlin nach haargenau demselben Schema vorgestellt hatte wie das Verhältnis von Miami und Kuba. Auf unserer Seite also ein heißes, wutgespeistes Verlangen, dass endlich Honecker – Gomez kannte den Namen genau – abdanke oder sterbe; dass der Sozialismus zusammenbreche und Miami die Macht in Kuba zurückerhalte, nach der es seit 45 Jahren giert. Und endlich werden in jene stillen, kleinen Gefängniszellen statt Gomez und den Seinen die für den Sozialismus Verantwortlichen gesteckt, die Gomez und den Seinen Kuba so lange vorenthalten haben.

Nein, so war es ganz und gar nicht mit dem Osten und dem Westen Deutschlands, erklärten wir. Und als die Wiedervereinigung anstand und der Osten sie dringend wünschte, hätte man im Westen womöglich eine Mehrheit dagegen zusammengebracht. Aber wer im Westen lebte, interveniert Maria aus Los Angeles, Kalifornien, befand sich ja ebenfalls in Deutschland, während ihr in Miami doch im Ausland seid, als Kubaner in den USA.

Daraus ergab sich nun eine wahrhaft interessante Unterhaltung. Denn Gomez, der Amerikanisch ohne jeden Akzent spricht, begann zu bezweifeln, ob er überhaupt noch Kubaner sei. Geboren wurde er 1965 in Miami; Vater und Mutter waren exiliert, und wir erzählen von den sog. Vertriebenen, Ostpreußen, Schlesiern, Pommern, Sudetendeutschen, deren politische Verbände längst im Westen Geborene managen; Verbände, die, wie die Palästinenser, auf einem Heimatrecht bestehen, das niemand mehr einklagen mag, weil man in Waldkraiburg oder Fulda oder Kiel längst als Einheimischer lebt. Wahrscheinlich, lacht Gomez, werde es ihm ganz genau so ergehen. Wenn der Sozialismus auf Kuba mit Castro verschwindet und er sich fragen müsse, ob er in die alte Heimat zurückkehren wolle, dann werde er feststellen, dass seine Heimat die USA sind. Aber leider, lacht Gomez, ist es noch nicht so weit!

Hier kann die schöne Maria aus Los Angeles anschließen. Sie ist das allererste Mal in Europa und macht erst hier prägnant die Erfahrung, dass sie US-Amerikanerin ist. Ihre Familie stammt aus Mexiko, ist irgendwann illegal über die Grenze gekommen. Auch Maria hängt an den Fäden ihrer Familientradition. Sie arbeitet als Anwältin bei einer Organisation, die sich der illegal Eingereisten annimmt. Sie besitzen nämlich bereits Rechte, etwa auf Schulbildung ihrer Kinder, aber sie wissen oft nicht genug darüber. Das ändert ihre Organisation, erzählt Maria. Aber das war nicht ihr zentraler Punkt.

Sondern dass sie daheim in Los Angeles, in ihrer Familie, unter ihren Leuten stets mit dem Gedanken kokettiere, sie seien doch gar keine US-Amerikaner. Sie seien hier eine kritische, nonkonformistische Minderheit, die an den schönen Sitten und Gebräuchen ihrer Herkunft festhalte, Sitten und Gebräuchen, die sie von den Mehrheitsamerikanern wohltuend abhebe. Aber hier in Europa, lacht Maria, habe sie gelernt, dass sie durch und durch US-Amerikanerin ist, und uns fiel Edward ein, ein anderer Gast bei einem anderen dieser amerikanischen Abendessen. Er erzählte damals, wie heftig er als junger Afroamerikaner sich in seine afrikanische Herkunft versenkte. Wie sehnsüchtig er seine erste Afrikareise antrat, von der er wusste, dass sie ihn in seine Heimat führe. Und wie ihn in Nigeria die Entdeckung frappierte, dass er durch und durch US- Amerikaner sei – wobei er daheim von den anderen als Afroamerikaner sich abzuheben nicht aufhörte. Aber es sei ein amerikanisches Afrika, das er verkörpert. Irgendwann, schloss Maria an, werden die USA als zweite Landessprache Spanisch einführen; es gibt immer mehr Hispanics. Aber damit würden die USA natürlich kein Teil von Lateinamerika.

Bleibt Austin aus Madison, Wisconsin, der an diesem Abend den US-Amerikaner repräsentierte, wie er im Buche steht, WASP, white anglo-saxon puritan, blond, blauäugig, von argloser Hübschheit. Seine Familie, erzählte er, sei jüdisch und einfach nicht über den Großvater mütterlicherseits hinaus zurückzuverfolgen. Er kam vermutlich aus Osteuropa und man konnte erahnen, dass er irgendeinem grausigen Geschehen nach Amerika entflohen war. Doch sprach er nie darüber. Sodass die Familie im Unklaren darüber blieb, ob sie sich die Fluchtgeschichte nicht selber ausdachte.

Auch illegal Eingereiste besitzen bereits Rechte, etwa auf Schulbildung ihrer Kinder

Auch Austin war beruflich mit Problemen der Einwanderung befasst – als Mitglied der Republikanischen Partei übrigens, von der wir immer dachten, sie fahre einen nationalistischen Kurs, Amerika den Amerikanern. Vielleicht im tiefen Süden, sagte Austin; wir im Mittelwesten sind libertär. Zwar habe er beim letzten Mal Bush gewählt, davor aber Clinton. Mal sehen, wie sich John Kerry mache.

Was Austin zur Einwanderung zu sagen hatte, verblüffte uns, weil es so deutlich zu deutschen Diskussionen kontrastiert. Einwanderer mischen eine Gegend ökonomisch und kulturell auf, und das ist auch gut so, deshalb muss man die Einwanderung erleichtern. Miami hat von den Exilkubanern, Los Angeles von der mexikanischen Community großartig profitiert.

In Deutschland ist dagegen ja die Angst populär, Einwanderer gefährden die Arbeitsplätze von Einheimischen. Im Übrigen erkennt man vor allem ein Ordnungsproblem: Wie schaffen wir es, die Leute aus anderen Kulturkreisen störungsfrei zu integrieren. Dass sie Unruhe bringen und Unruhe produktiv ist, das ist kein deutsches Denken. So habe man in den USA auch mal gedacht, schließt Austin an, Integration ist das Zauberwort, die Metapher der melting pot, der Eintopf, der alle Zutaten einheitlich verkocht. Heute stelle man sich die Staaten eher als Obstsalat vor, wo alle Zutaten noch sauber zu erkennen sind.