Deutscher EM-Sieg im Tischtennis: Der Cappuccino-Coach
Bundestrainer Jörg Roßkopf führt die Deutschen bei der Tischtennis-Europameisterschaft zu einem historischen Triumph. Und langweilt sich dabei etwas an der Bande.
Die ganze Zeit haben die deutschen Tischtennisspieler davon geschwafelt, sie seien die "Chinesen Europas". Was das für den Bundestrainer tatsächlich bedeutet, erfuhr Jörg Roßkopf am Sonntag in Ostrau: Langeweile! Der neue Coach drückte uninteressiert auf den Tasten seines Handys herum. Dass Timo Boll schon wieder in einem Europameisterschafts-Finale steht und sein drittes Titel-Triple holt, na und? Auf der anderen Seite der Tischtennis-Platte müht sich schließlich mit Patrick Baum ein weiterer Deutscher ab.
Bereits im Einzel-Halbfinale hatte sich der Trainer-Debütant in die Lage seiner chinesischen Pingpong-Kollegen versetzen können, als Boll von seinem Doppelpartner Christian Süß (4:1) gefordert wurde. Die Asiaten ziehen sich bei internen Duellen von der Beratung an der Bande zurück und überlassen die Spieler ihrem Schicksal. Der Chinese nennt solch ein gewohntes vorzeitiges Päuschen höchstwahrscheinlich Tee-Finale - der stramme Deutsche, der vom Dolce Vita in Italien träumt, deklariert derlei lieber als "Cappuccino-Spiel".
Derartige Getränkepausen blieben Roßkopf beim vierten Mannschaftstriumph mangels B-Team ebenso verwehrt wie im Doppel, weil Baum dort ohne seinen verletzten Partner Bastian Steger auf einen Start verzichtete. Herzrasen erzwang indes dieses Endspiel nicht gerade auf der Trainerbank: Süß und Boll beendeten ihren Spaziergang gegen die Überraschungsfinalisten Kasper Sternberg und Jonathan Groth (Dänemark) mit einem 4:0. "Ein bisschen Übergepäck werden wir auf dem Rückflug wohl haben. Der Deutsche Tischtennis-Bund wird dafür bluten müssen", ulkte Boll nach dem EM-Rekord mit dem vierten Doppel-Titel in Folge.
Weil das Gespann Boll/Süß jegliche Art von Spannung rigoros eindämmte, sorgte allein Baum dafür auf dem Weg zur besten deutschen EM-Bilanz aller Zeiten mit dreimal Gold, einmal Silber und Bronze. Erst eliminierte der Junioren-Weltmeister von 2005 den an Position zwei gesetzten Weißrussen Wladimir Samsonow im Viertelfinale mit 4:3. Nervenstärke bewies der 23-Jährige auch danach bei den Düsseldorfer Vereinsmeisterschaften mit österreichischer Beteiligung: Werner Schlager flog als letzter Nicht-Borusse im Halbfinale raus.
Baum zeigte sich von dem 2:3-Rückstand unbeeindruckt und deklassierte den Exweltmeister in den beiden Schlussdurchgängen. "Wahnsinn, wie gut der Patrick drauf war", lobte Boll - was ihn aber wenig hinderte, im Finale durch ein 4:1 die Siegesserie des Weltranglisten-50. zu beenden. "Dennoch ist es der größte Tag meiner Karriere. Mit Silber hätte ich nie und nimmer gerechnet", hakte Baum, der vor der EM nur als Nummer fünf des DTTB galt, die Niederlage rasch ab.
Wasser predigen, selbst aber Cappuccino saufen - das scheint für Roßkopf zu gelten. Seinen ehemaligen Kollegen verordnete der Rekordnationalspieler als eine der ersten Amtshandlungen eine halbe Stunde mehr Training am Tag. Das macht denen offensichtlich Beine. Vor allem bei Boll ließ der neue Bundestrainer noch zu aktiven Zeiten gerne in Nebensätzen durchklingen, dass es seinem begnadeten Nachfolger an Härte fehle.
Plötzlich verkündet der Weltranglistenzweite nach 22 lockeren Siegen binnen acht Tagen: "Ich spielte selbst am Schluss sehr gut. Da war ich sogar nicht müder, sondern schneller auf den Beinen als am Anfang." Als einziges "Problem" beklagte der 29-Jährige bei seinem weiteren Rekord, dem 13. europäischen Titelgewinn, "man ist gegen eigene Mannschaftskameraden nicht so motiviert und heiß".
"Die Dominanz wird langweilig", hört sich selbst DTTB-Präsident Thomas Weikert schon wie ein chinesischer Funktionär an. Dabei hätte es für den Rest Europas noch schlimmer kommen können: Mit Steger und Dimitrij Ovtcharov, der sich im Team-Halbfinale gegen Frankreich verletzt hatte, fielen zwei Ex-Düsseldorfer im Einzel aus. Vor allem der an Position drei gesetzte Ovtcharov hätte wohl das dritte Setzlisten-Viertel mit Schlager bis zum Halbfinale von Nicht-Jecken bereinigt.
Glück für Roßkopf also nicht nur wegen des "idealen Starts für mich"! Ihm hätte sonst am Sonntag ein schwerer Koffeinschock angesichts all der Cappuccinos gedroht! Obwohl: Der 41-Jährige hätte ja dann bei einer Halbfinal-Teilnahme Ovtcharovs am Sonntagmorgen im Bett liegen bleiben können …
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