piwik no script img

Deutsche WirtschaftDas wundersame Wachstum

Raus aus der Krise: Die deutsche Wirtschaft erlebt den größten Wachstumssprung seit 20 Jahren.

Sonnige Aussichten: Arbeiter beim Teeren. Bild: dpa

So schockierend schnell sich die Wirtschaftskrise vor anderthalb Jahren ausbreitete, so rasant setzt jetzt ein Boom ein. Entgegen allen Erwartungen der Fachleute wuchs die deutsche Wirtschaftsleistung von April bis Juni im Vergleich zum ersten Quartal 2010 um 2,2 Prozent. "Ein solches Wachstum gab es noch nie im vereinigten Deutschland", erklärten die Experten vom Statistischen Bundesamt am Freitag.

Im Vergleich zum zweiten Quartal des Krisenjahres 2009 betrug das Wachstum sogar 4,1 Prozent. Der Grund: Alle wichtigen Größen sind positiv. Die deutschen Firmen können sich vor Aufträgen aus dem Ausland nicht retten, aber auch im Inland wird groß investiert. Nach dem harten Winter, in dem die Bauunternehmen monatelang am gefrorenen Boden scheiterten, haben sie jetzt mehr zu tun als in normalen Sommern. Weil weniger Beschäftigte als befürchtet arbeitslos wurden, geben außerdem die privaten Verbraucher so viel Geld aus, dass die Binnennachfrage zunimmt.

Auch die staatlichen Konjunkturprogramme, die auf dem Höhepunkt der Krise beschlossen wurden, entfalten nun ihre Wirkung - in Deutschland, in den USA und anderen Staaten. Keynesianisch orientierte Ökonomen wie Wirtschaftsweiser Peter Bofinger oder Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie betonten deshalb die Rolle der aktiven Politik. Gleichzeitig warnten sie davor, die Programme zu schnell zu beenden und die Staatsausgaben massiv zu kürzen.

Die wichtigste Rolle allerdings spielte der Export. Die Ausfuhr von Fahrzeugen und Autoteilen nahm im Mai dieses Jahres gegenüber Mai 2009 um 41 Prozent zu. In nur einem Monat verkauften die deutschen Hersteller Fahrzeuge im Wert von 13 Milliarden Euro. Die Maschinenbaufirmen verbuchten 11 Milliarden Euro. Ihr Absatz stieg um 19 Prozent. "Das deutsche Geschäftsmodell ist extrem erfolgreich", sagte Folker Hellmeyer, Analyst bei der Bremer Landesbank.

Vor diesem Hintergrund könnte sich nun die internationale Debatte der vergangenen Monate neu entzünden. Vor allem die Regierungen der USA und Frankreichs hatten Deutschland vorgeworfen, auf Kosten anderer Staaten zu leben. Die stärkste Wirtschaft Europas exportiere zu viel und importiere zu wenig, hieß es. Darunter würden die Nachbarn leiden, hatte Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde argumentiert.

Die Kritiker verweisen auf den hohen deutschen Außenhandelsüberschuss. 2009 überstiegen die deutschen Exporte die Importe um 134 Milliarden Euro. Allerdings nimmt die Kraft des Arguments ab. Denn nach seinem Höhepunkt von 195 Milliarden Euro im Jahr 2007 ist der Exportüberschuss kontinuierlich gesunken. Diese Tendenz zeigte sich auch im Juni 2010: Die Importe nahmen schneller zu als die Exporte. Deutschland ist auf dem Weg zu einem ausgeglicheneren Modell.

IMK-Forscher Horn kündigte am Freitag an, die Prognose für das Wachstum des gesamten Jahres 2010 auf 2,5 bis 3 Prozent heraufzusetzen. Liegt er richtig und bricht der Aufschwung nicht zusammen, könnte Deutschland Ende 2011 ungefähr wieder das Vorkrisenniveau des Jahres 2008 erreichen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) lieferte am Freitag den Begriff zu der überraschenden Entwicklung - und distanzierte sich gleichzeitig von ihm, um nicht als überheblich zu gelten. "Von einem Wachstumswunder kann man nicht sprechen, aber von einem Aufschwung XL", sagte Brüderle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • M
    Mac-Lennox

    Die ungewöhnlich hohen Wachstumsraten können teilweise damit erklärt werden, dass der Einbruch 2009 auch besonders hoch war. Von einem Aufschwung XL zu sprechen, wie es der Bundeswirtschaftsminister Brüderle tat, ist hinter diesem Hintergrund zu euphorisch. Zumal der Stand von 2008 erst wieder 2011 erreicht werden soll, wenn nichts dazwischen kommt.

     

    Außerdem ist die Hatz nach immer Mehr und Mehr sowieso mehr als fraglich. Denn irgendwo sind die Ressourcen endlich, daher verlangt dieser globale Wettbewerb gerade zu nach einer Umverteilung von Arm zu Reich, wenn die wohlhabenden oder reichen Gesellschaften ihren Lebensstandard immer weiter steigern möchten.

  • KH
    Karin Haertel

    Das glaub ich erst, wenn ich es in Form von mehr Geld auf meinem Konto sehe. Letztes Jahr waren es 3,5% Miese und jatzt 2,2% im Plus. Wenn man aber richtig rechnet, dann sind wir noch immer zum Vorjahr mit 1,3% im Minus, oder haben wir wuundesame 5,7% plus gemacht. Denn um in den Plusbereich zu gelangen, mus man erst das Minus aufarbeiten. Also Schlus mit der Schoenrechnerei.