Deutsche Schüler auf Platz 13 bei Pisa: Klassenziel fast erreicht

Deutsche Schüler bei Pisa-Naturwissenschaften auf Schüler Platz 13! Wie ein spanischer Journalist mit der Nachricht die Deutschen rettete.

Kollektives Aufatmen dank José Manuel Lacasa. Bild: ap

José Manuel Lacasa geht in die Geschichte ein, in die deutsche auf jeden Fall. Der Journalist der bis Mittwoch 19:45 Uhr und 50 Sekunden gänzlich unbekannten spanischen Zeitung Magisnet hat etwas Wunderbares erschaffen, anmutiger fast als ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe und aufrührender als ein Roman von Günter Grass. Denn Lacasa hat Deutschland wieder zu einer satisfaktionsfäigen Nation gemacht. Er veröffentlichte vorab die Ergebnisse der Studie Pisa 2006, und siehe da: Die deutschen Schüler sind wieder wer. Pisa, war da was?

Die Sensation steht gleich auf Seite eins von Lacasas Geschichte: Deutschland landet auf Platz 13! Bei einer Pisastudie! Was beim Zieleinlauf einer Olympiade oder als Rangplatz einer Fußballweltmeisterschaft Rücktritte nach sich ziehen würde, sorgt nun für euphorisierte Leitartikel und ein kollektives Aufatmen. Wow, deutsche 15-Jährige landen über dem Durchschnitt. 500 Punkte sind das Mittelmaß der OECD-Staaten. Bislang krebsten die deutschen Sekundarschüler bei 484 Punkten (Pisa 2000) und 491 Punkten (Pisa 2003), da sind die 516 Punkte, die sie jetzt erringen, ziemlich gut. Die Folgen, die das Ganze am Donnerstag nach sich zog, sind noch besser, viel besser.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) jaulte auf: Pisa 2006 und Pisa 2003, das ist doch gar nicht vergleichbar. Der ultrakonservative Lehrerverband teilte mit, endlich sei Pisa entzaubert. In den Morgenradios müssen arme Journalisten der Nation Nachhilfe in Statistik erteilen. Und die Kultusminister der Union fordern - bitte festhalten! - den Rücktritt von Andreas Schleicher. Dazu muss man wissen, dass der 43-jährige Deutsche nicht etwa der gewählte Weltbildungsminister ist, sondern lediglich der gefühlte. Im bürgerlichen Beruf ist er Pisachef der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD.

José Manuel Lacasa aber, der die Deutschen mit seiner Story glücklich machte, ist völlig fertig. Der 40-Jährige Journalist, der sich sonst via Magisnet an 15.000 Lehrer und Bildungsinteressierte in Spanien wendet, soll plötzlich hunderten Anrufern erklären, was das deutsche Bildungssystem auszeichnet. Dabei weiß Lacasa nichts über Deutschland, er hat keine einzige Zeile über die deutschen Pisahelden geschrieben, er hat lediglich eine Tabelle veröffentlicht. Als Lacasa tatsächlich einen Satz über Deutschland sagen will, weigert sich sein Kollege, ins Englische zu übersetzen - weil das einfach nicht wichtig genug sei für den Weltscoop, den der Kollege gelandet habe. Die halbe Welt ruft an - aber José Manuel Lacasa darf nichts sagen.

Sein Glück. In Deutschland laufen die Agenturen zur Höchstform auf, obwohl niemand wirklich frische Informationen hat. Denn außer Platz 13 im Pisaschwerpunkt Naturwissenschaften und dem Durchschnittswert der 15-Jährigen sickert nichts durch. Man erfährt nicht, wie die Leistungen im Jahr 2006 beim Lesen waren. Keiner kann sagen, wie viele Risikoschüler das deutsche Schulwesen 2006 in die Chancenlosigkeit entlassen hat, niemand, ob sich der extreme Abstand zwischen guten und schlechten Schulen verringert hat. Trotzdem versendet die Agentur Associated Press (AP) zwischen 10:30 und 10:32 Uhr sechs Meldungen, in denen mangels Informationen die Pisastudie 2003 noch einmal referiert wird. Manchmal muss man Kaffee aufkochen. Ein Zwischentitel bei AP lautet: "Lehrerverband auch empört".

Nicht anders die Kollegen. Das ist Betrug, schimpfen die einen. Die Zahl der Schüler ohne Abschluss (80.000), der Sitzenbleiber (250.000), der Sonderschüler (420.000), der Jugendlichen in Warteschleifen (zuletzt 380.000), der Schulabsteiger (46.817), der hoffnungslosen Hauptschüler und Migranten habe sich nicht geändert. Da soll was vertuscht werden! Auch andere sind sauer. Alles Miesepeterei, nach Jahren Pisaleidens sei es Zeit für "good news". Türen schlagen, es wird geschrien.

Es gibt viele Empörte an dem Tag, als die Deutschen aufhörten, in einem Schurkenstaat zu leben. Weil viele 15-Jährige auf eine Frage wie diese richtig antworteten: Welche Rolle spielen Bakterien bei Karies? Sie produzieren a) Zahnschmelz, b) Zucker, c) Mineralien oder d) Säure. Hätten Sies denn gewusst? Na also.

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