Deutsche Aids-Hilfe wird 25 Jahre: Sie werden leben

Die Deutsche Aids-Hilfe feiert in Berlin ihr 25-jähriges Bestehen. Sie ist mit den Jahren eine Gesundheitsorganisation unter vielen geworden. Der Pharmazie sei Dank.

Haben 1983 das HI-Virus entdeckt: Luc Montagnier und Francoise Barre-Sinoussi. Bild: dpa

Clärchens Ballhaus in Berlins Mitte ist ein Ort, der Touristen gefällt. Ein Ort wie ein Schlüsselreiz: So sah es aus, signalisiert es Besuchern, damals, im Berlin der Zwanziger, in der Weimarer Dekade des Exzesses, des Schwoofs, der Lustspiele. Heute wird das Haus bewahrt, inklusive seines leichten Schmuddelambientes. Vor 80 Jahren waren es die heterosexuellen Neubürger von Berlin, die hier tanzten - Geschlechtskrankheitsgefahren inklusive. Alles vorbei, alles behandelbar, Syphilis, Gonorrhoe, Läuse, Pilz, der pharmakologischen Industrie sei Dank.

Bis auf eine Infektion, eine, die seit 25 Jahren alle Welt beschädigt und die sexuellen Möglichkeiten an die Bedingung eines Kondoms knüpft, will niemand eine Ansteckung riskieren: Aids bleibt ein Leben lang.

Zumeist, was Europa und andere wohlhabende Flecken auf der Welt angeht, in der schwulen Bevölkerung. Aids war immer, aller Aufklärung der Gesundheitsministerien zum Trotz, hauptsächlich eine schwule Infektion. Das liegt daran, dass Schwule der gesellschaftlichen Atmosphäre immer noch nicht trauen: Hat es böse Folgen, wenn ich als Positiver identifiziert werde?

Es war also kein Zufall, dass die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) an diesem Abend in Clärchens Ballhaus in der oberen Balletage zum Empfang bat, zum 25. Geburtstag ihres Bestehens - eine Feier, zugänglich über einen dunkel schummernden Seiteneingang.

Was die DAH repräsentiert, ist schnell gesagt: die Organisation aus einer Fülle von regionalen Vereinen, Selbsthilfe- und Unterstützergruppen, die aus der Furcht vor einer Pandemie mit Hilfe massiver öffentlicher Einwirkung - Kondomkampagnen bis zum Eindruck einer Gehirnwäsche - eine begreifbare Infektionsgeschichte gemacht hat. Aber: Die Zeiten der Ausschweifungen ohne Netz und doppelten Boden sind vorbei. Ein Gummi muss sein. Und daran, so führte es der schwule Kampagnenchef der DAH, Dirk Sander, aus, an diese Vorsichtsregel im Sinne der Safer-Sex-Not halten sich Tag für Tag, Stunde für Stunde fast alle schwulen Männer.

Zumindest in den aufklärungs- und neugierlustigen Ländern der reichen Welt. Aids ist in Afrika oder Asien tatsächlich auf dem Weg, eine Epidemie auch in der heterosexuellen Welt zu werden - Resultat, so sagen Aidsexperten, einer oft religiös begründeten Scheu, über Sexuelles Klartext zu sprechen.

Schwierig aber war es, die aktuelle Kampagne der DAH zu lancieren: "Ich weiß, was ich tu" heißt sie und ist auch sprachlich direkt an die Adresse von Schwulen gerichtet. Da ist vom Ficken, Blasen und Sperma die Rede, von Infektionen - nicht drastisch, aber eindeutig. Lange war es der DAH, finanziell vollständig von Bundesgeldern abhängig, nicht möglich, diese Kampagne, beispielsweise vor der Saison der CSD-Paraden im Sommer, in die Öffentlichkeit zu bringen.

Niedere und obere Behörden und Ministerien fürchteten, so hieß es in Clärchens Ballhaus, mit dem sexuell Gewöhnlichen einer Aidskampagne in Verbindung gebracht zu werden: "Aids", sagten mehrere Sprecher, "ist eben auch populistisch ausbeutbar." So erst wird begreiflich, weshalb Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht beim Empfang zu begrüßen war: Sie schickte ihre Staatssekretärin, mehr offizielle Repräsentanz war nicht drin.

Andererseits könnte es ja auch sein, dass die DAH zwar eine würdig erfolgreiche Organisation ist, eine, die ihren Geburtstag verdient mit dem Startschuss einer neuen Aufklärungskampagne feiert, mittlerweile nur eine Gesundheitsorganisation unter vielen ist.

Im Dezember erhalten Luc Montagnier und seine Mitarbeitenden in Stockholm den Medizinnobelpreis: Anerkennung für eine Forscherleistung auf einem Gebiet, das mit schlüpfrigen Gedanken allzu nah verbunden werden kann. Neuinfektionsraten in Deutschland bewegen sich in einem Bereich, der Ängste um eine Epidemie nicht nähren kann. Die Gefahr, sich mit Asbest, an Zigaretten oder mit Alkohol todbringend zu vergiften, gilt als größer.

Rührend aber war, wie die Hauptdarsteller eines Aufklärungsfilms, junge Männer, mit kaum enden wollendem Applaus bedacht wurden. Die HIV-Infizierten ließen manche Träne kullern: Das hatte mehr Würde und Anteilnahme als alles, was jüngst der Deutsche Fernsehpreis an Glamour bot.

Was den Unterschied zur Zeit der HIV-Entdeckung Mitte der Achtziger ausmachte, war greifbar: Sie werden leben, sie wollen es auch, sie wissen um alle Gefahren und sie leben als offen Schwule ohne Versteckspielhuberei. Aids hat schwuler Selbstlockerung aufgeholfen. Tragisch, aber wahr.

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