Deutsch-türkisches Architektenduo: Vom Hinterhof zum Millionenprojekt
Die beiden deutsch-türkischen Newcomer-Architekten Ipekci und Yurtsever baut die neue Kunsthochschule von Jerusalem - mitten im russischen Viertel.
Aysin und Cem geben der Kirche einen neuen Vorplatz. Es ist nicht irgendein Gotteshaus auf irgendeinem Vorplatz - es ist mitten im russischen Viertel von Jerusalem, am Übergang von der Alt- zur Neustadt, wo die 1872 geweihte Holy Trinity Church noch auf einer abschüssigen Brachfläche steht. In den nächsten Jahren aber soll aus den 9.000 Quadratmetern Schotterparkplatz eine Baustelle werden. Um das Gotteshaus herum wird ein helles, modernes und funktionales Gebäude gebaut, das mit der Kirche eigentlich gar nichts zu tun hat: der neue Campus der angesehenen Kunsthochschule Bezalel. Bisher sind die Studenten der verschiedenen Fakultäten von Bezalel auf mehrere Standorte verteilt. Einige lernen in der Altstadt, die anderen am Mount Scopus etwas außerhalb, sogar in Tel Aviv finden sich noch Teile der Universität. Doch wenn der neue Campus erst mal fertiggestellt ist, dann sollen etwa 3.000 Studenten alle in einem Gebäude untergebracht sein.
Es ist ein 60-Millionen-Dollar-Projekt, gebaut von Aysin Ipekci, 34, und Cem Yurtsever, 35, den Architekten hinter Studyo. Es könnte ihr internationaler Durchbruch sein, noch sind sie ein junges Architekturbüro, 2005 gegründet, das sich zwischen Köln und Istanbul aufteilt. Doch am Mittwoch wurden in Jerusalem die Verträge unterschrieben. Es wird nicht mehr lange dauern, und der Name Studyo, der wegen des y ein wenig türkisch, aber wegen der fehlenden Umlaute auch irgendwie international wirkt, könnte zu einer Hausmarke für eine neue Realität werden, in der Herkunft und die auf ihr basierenden Vorurteile keine Rolle spielen.
Für Aysin und Cem kam es überraschend, dass gerade sie im Juli 2007 den weltweit offenen Wettbewerb für den Neubau von Bezalel gewannen. Ohne zugkräftigen Namen, ohne Renommierprojekte, dafür aber mit Ideen, die in den Augen der Juroren besser waren als die 187 anderen eingereichten Entwürfe sowie die von fünf weiteren Zugeladenen. "Es wurde nicht erwartet, dass ein so unbekanntes Büro wie unseres gewinnt", sagt Aysin, eine filigrane junge Frau mit dunkeln Haaren. Sie wirkt ernst und konzentriert. Ehrgeizig und dennoch in ihrem Ton erfrischend unneurotisch. Während sie in ihrem Kölner Büro ihren Multimillionen-Dollar-Entwurf erklärt, packt sie einen Kinderriegel aus, schiebt ein kleines Stück in den Mund und überlegt. Ihr Konzept sei eben extrem kontextbezogen, sagt sie schließlich, eine genaue Studie der Stadt in eine moderne Form gebracht. Praktisch heißt dies, dass es in dem Gebäude begrünte Innenhöfe geben soll, wie es bei den Häusern in der Altstadt üblich ist. Die Anforderung, Jerusalemstein nach außen sichtbar zu benutzen, wurde elegant verdreht: Die Fassade wurde mit Kalksteinlamellen verkleidet, die je nach Sonnenstand mehr oder weniger Licht hineinlassen. Breite Eingänge sollen das Gefühl für innen und außen verschwinden lassen.
Während Aysin die Fakten bespricht, übt sich Cem, ein großer, dunkler Mann mit rundlichem Gesicht und Brille, bei der Erläuterung von Studyos unique selling point in Metaphern. "Du kommst zu uns, wir sind deine Schneider, und wir messen dich genau ab, schauen auf deinen Hauttyp, deine Haare, deine Augen, deine Körperhaltung. Wir machen ein Kleid nur für dich - custom made eben", betont er, der auch in kalter Witterung nur ein T-Shirt trägt. Aysin und Cem beschreiben, wie sie sich das Innenleben des Gebäudes vorstellen. In einer Kunsthochschule würde man eben nicht nur im Klassenraum lernen, sondern auch in den Fluren. Deshalb müssten die groß genug sein, damit die Studenten hier ihre Entwürfe und Kunstwerke ausstellen können. Ein wenig Hightech gibt es auch: ein elektronisches Leitsystem mit Anzeigen im Fußboden, sodass jeder ganz einfach erkennen kann, wo er heute hinmuss. Offen soll das Gebäude sein. Zugänglich, nicht nur für Studenten, sondern auch für alle, die einfach nur hier durchwollen, um eine Abkürzung zu nehmen. Auch wenn es am Eingang wahrscheinlich Sicherheitskontrollen geben wird.
Kennen gelernt hat sich das Duo 1993 am ersten Studientag an der Hochschule in Aachen. "Das war Schicksal", behauptet Cem, der gerade zu einem Arbeitsbesuch aus dem Istanbuler Studyo im Rheinland ist. Sie kam aus Köln, er aus Duisburg, beide haben türkische Eltern und sind in Deutschland aufgewachsen. "An der Uni waren wir Bildungsinländer", sagt Aysin amüsiert. Soll heißen: Bitte keine Schonung. Die beiden verstehen genug Deutsch, um mit den Kommilitonen aus München und Mainz gleichgestellt zu werden. Dass sie nun eine deutschtürkische Erfolgsstory sein sollen, darauf wollen die beiden nicht reduziert werden. Kein crossing the bridge-Klimbim.
"Klar wächst man mit einem Background auf, der ist bei uns eben nicht eindeutig, aber wichtiger ist es immer bei Projekten, worum es eben in dem Projekt geht", sagt Aysin. Mehr als die Herkunft ihrer Eltern habe sie ihre Heimatstadt geprägt. "Isch bin en escht köllsche Mädsche", sagt sie und findet, dass Cem, der seine Kindheit in Bayern verbrachte, ein totaler Oberfranke sei. Der kontert direkt: "Architektur und Ästhetik, das sind internationale Sprachen, ein Common Sense, was man schön findet. Obwohl schön auch nicht das richtige Wort ist. Gut sollte es heißen." Im Großen und Ganzen sei der kulturelle Hintergrund kein Thema, das ihnen ständig präsent sei. Aber funktioniert dieses Wegfegen der Identitätsmarker auch in Jerusalem? Denken die Menschen dort nicht zwangsweise, dort kommen die Deutschen? "Ich habe nicht das Gefühl, dass es in irgendeiner Form im Vordergrund steht, wer woher kommt." Anders als man von außen vermutet, spielen hier, in dieser durch und durch heterogenen Gesellschaft, Nationalitäten keine Rolle. Wenn überhaupt, dann stoße die Einheit zwischen türkisch und deutsch auf große Freude. Mal etwas anderes, etwas Interessantes.
Architektur ist universell
Für Architekten ist auch nicht das gesprochene Wort die Leitlinie, sondern die Form. Eine universelle Sprache. "Das Runde", meint Cem, "ist eben überall rund." Viel wichtiger, als wer woher kommt und weshalb er dort ist, ist für Architekten sowieso der Erfahrungsschatz. Je mehr Formen ein Architekt sehen kann, je mehr Zusammensetzungen verschiedener Formen er entziffert, je geschickter er sie in seine eigenen Entwürfe integrieren kann, desto besser wird seine eigene Arbeit sein. Insofern waren die Monate in Japan, die Aysin beim Architekturbüro Sanaa verbrachte, stilbildender als die türkischen Tanzveranstaltungen, an denen sie als Kind in Köln teilgenommen hatte. Und für Cem war der Umzug in die Industriekultur des Ruhrgebiets genauso prägend wie die Zeit an der Universität von Washington in Seattle. Reisen, Eindrücke, jedes Flanieren wird zur Chance, neue Ideen zu bekommen. "Unsere Professoren haben uns immer gesagt, dass die ganze Welt unsere Bibliothek sei. In noch der letzten Ecke dieser Erde stellen Menschen ihre Hütten auf, und wo auch immer man eine sieht, hat man die Chance zu lernen", sagt Aysin. Ein Rat, den sie heute selber gerne an Studenten weitergibt, denn sie ist auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Wuppertal tätig.
Der beste Beweis dafür, dass man mit offenen Augen erkennen und gewinnen kann, ist der Erfolg. Vielleicht liegt darin der Charme der Architektur. Sie ist vorwärtsgewandt, und die Regeln der Ästhetik sind wichtiger als die der Politik. Selbst in Jerusalem, einem Ort, an dem die Entscheidung, wer wo was bauen darf, noch politischer ist als anderswo, gibt es Räume, an denen die Qualität des Entwurfs mehr zählt als Preise und Herkunft. Und wenn der eigene Hintergrund nicht eindeutig ist, sondern gemischt, dann muss das nicht doppelt belastend sein, sondern kann auch zweimal so bereichernd sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!