piwik no script img

Deutsch-afrikanisches MusikprojektWahnsinn ist ansteckend

Teutonische Tanzmusik trifft auf kenianischen Rap und erfindet "BLNRB - Welcome to the Madhouse". Mit dabei: Jahcoozi, Modeselektor, Just a Band und Rapperin Nazizi.

Sasha Perera von der Berliner Band Jahcoozi, im Hintergrund grüßt Andi Teichmann. Bild: promo

Eine gerade 4/4-Basedrum mündet in ein Percussion-Gewitter. Auf Swahili hebt eine tiefe Stimme zu einer Hymne auf die Trommeln an: "Ma Bhoom Bhoom Bhoom". Die Musik steht mit einem Bein in einem kühlen Berliner Technotempel und mit dem anderen in der gleißenden Mittagssonne bei einer Drumsession in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. "Ma Bhoom Bhoom Bhoom" ist einer der reduziertesten Tracks auf "BLNRB - Welcome to the Madhouse", exemplarisch für die musikalische Vielfalt dieses Albums. Mehr als 20 deutsche und kenianische Musiker haben sich für das Projekt zusammengetan.

Begonnen hat dieses Zusammenarbeit im Goethe-Institut in Nairobi. 2009 legt der Berliner House- und Techno-DJ Andi Teichmann dort auf. Eigentlich wollte er nur bei einer Vernissage von befreundeten Künstlern dabei sein. Was das für merkwürdige Musik sei, wird Teichmann von skeptischen kenianischen Besuchern gefragt. Irgendwann tanzen alle und werden neugierig auf die teutonische Tanzmusik. Der Abend gilt als Geburtsstunde von "BLNRB".

Das Irrenhaus in Nairobi

Institutsleiter Johannes Hossfeld und Teichmann nehmen sich vor, Rapper und Musiker aus Nairobi stärker mit der Berliner Clubmusik zu konfrontieren. Hossfeld kennt viele in der jungen, vor allem durch HipHop geprägten Musikszene der Stadt. Andi Teichmann und sein Bruder Hannes sowie ihr Label Festplatten Records gehören seit Jahren zum Berliner Elektro-Inventar. Zusammen mit dem experimentierfreudigen Trio Jahcoozi und den durchgeknallten Breakbeat-Freaks Modeselektor reisen sie nach Nairobi.

Für einen Monat mieten sie sich in ein Haus ein und installieren ein Studio. Innerhalb weniger Tage hat das Haus seinen Ruf weg: "the Madhouse", das Irrenhaus. "Wir konnten die ersten Nächte kaum schlafen. Bis die letzte Crew die Sessions unterbrochen hat und sich auf der Couch abgelegt hat, standen die Frühaufsteher schon wieder auf der Matte und wollten weiter aufnehmen," erzählt Andi Teichmann. Gemeinsam werden die Beatarchive der Berliner durchforstet. Pausenlos wird an der Musik geschraubt, werden Texte geschrieben und vor allem improvisiert. Neben den 18 Tracks, die es letztlich auf das Album geschafft haben, sind noch 60 weitere Fragmente auf der Festplatte gespeichert.

Der harte Kern von "BLNRB" besteht neben den Teichmanns aus Ukoo Flani, einem HipHop Kollektiv, repräsentiert durch sechs Rapper, die MCs Mister Abbas, Kimya und LonJon, der Elektropopgruppe Just a Band, dem Sänger und Multiinstrumentalisten Michel Ongaro und der Rapperin Nazizi.

Wenn auch hierzulande noch weitestgehend unbekannt, blickt Nazizi in Kenia auf eine beachtliche Karriere zurück. Seit sie 15 ist, rappt die mittlerweile 30-jährige ausgebildete Psychologin. Sie tourte schon durch die USA und Europa. Mister Abbas genießt in Nairobi ebenfalls Promistatus und hat mit der US-HipHop-Band Arrested Development zusammengearbeitet. Ungeachtet der starken HipHop-Fraktion drehen Just a Band mit ihrem Indie-Elektro-Pop den Sound in eine ganz andere Klangrichtung.

Von der Schule ins Tonstudio

Die beiden Teenager Little King und Robo drängten bei einer "BLNRB"-Party im Kibera-Slum ans Mikro. Am nächsten Tag wurden sie direkt von der Schule für Aufnahmen abgeholt. Einer der wenigen ruhigen, instrumentellen Songs ist "Kibera Benga". Das Leitmotiv ist ein Gitarrenriff aus der in Kenia sehr populären Benga Musik, aufgenommen in einer Wellblechhütte - BLNRB unterstreicht damit noch einmal die lokale Verwurzelung.

Die Auswahl der Songs sei mit das Schwerste gewesen, erzählen die Gebrüder Teichmann, die mit dem Münchner Label Outhere Records die Compilation zusammengestellt haben. Die Spanne der Tracks reicht von einem scheinbar puren Elektrostück wie "Everyday Without You" über den Indie-Ohrwurm "Room for Me", Breakbeat Krachern wie "Monkeyflip" bis zu der flirrenden Ballade "Away". Obwohl so viele so unterschiedliche Musiker mitgewirkt haben, fällt "BLNRB - Welcome to the Madhouse" nicht auseinander, was daran liegt, dass fast alle aus dem inneren Kreis der 20 Musiker viel Zeit im "Madhouse" verbracht haben. Wahnsinn ist ansteckend.

Bild: taz

Diesen und weitere interessante Artikel lesen Sie in der sonntaz vom 09./10. Juli 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz an ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

Zum Beispiel für das Publikum im Berliner Haus der Kulturen der Welt, wo das Projekt im vergangenen Winter ein gut besuchtes Konzert gab. "Es war seltsam, einen Gig zu spielen, bei dem ich die Musik von anderen präsentiere und nicht nur meine eigene. Aber das Publikum war begeistert", erinnert sich Nazizi. Im bitterkalten Berlin konnten dann auch die Kenianer in eine fremde Welt abtauchen - mit Schneeballschlacht, Club- und Konzertbesuchen.

Die Compilation ist also nur ein Konzentrat, eine Tür in eine neu gebildete Musik-Community, zu einem Projekt, das weit über die gemeinsame Aufnahme von Songs hinausgeht. Gerade werden in Nairobi und Berlin Musikvideos gedreht. Weitere Musiker wurden mit ins Boot geholt. Unter ihnen beispielsweise auch Hawa Essuman, die mit Tom Tykwer den Kinofilm "Soul Boy" drehte und jetzt eines der Videos machen wird.

BLNRB: "Welcome to the Madhouse" (Out Here Records)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!