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Archiv-Artikel

Designer-Shopping erst nach der Wahl

Bis auch die Niedersachsen durch ein als Dorf getarntes „Factory Outlet Center“ flanieren können, dauert es wohl noch: Vor der Landtagswahl im Januar ist den Regierungsfraktionen CDU und FDP das umstrittene Projekt zu heikel

SCHNÄPPCHEN-JAGD

Vorwiegend sind es edle Textilien, die in Fabrikläden oder Outlet Centern (FOC) 30 bis 50 Prozent billiger über den Ladentisch gehen als im Fachgeschäft. Nach Schätzungen von Experten gehen heute fünf Prozent der Bundesbürger in Centern auf Schnäppchenjagd. Nummer 1 bei Fabrikverkäufen ist Baden-Württemberg. Hier gibt es in Metzingen, dem Sitz von Boss, eines der größten FOC mit 55 Herstellern.  KSC

VON KAI SCHÖNEBERG

„Das ist Kitsch hoch 100“, sagt Peter Collier. „Pure Mickey-Mouse-Architektur.“ Optisch ist das „Wertheim Village“ mit seinen als Dorf getarnten Shopping-Sträßchen für den Chef des Einzelhandelsverbands Unterfranken „geradezu erbärmlich“. Aber die Konsumenten strömen in Scharen in das 2004 eröffnete „Factory Outlet Center“ (FOC) an der A 3 bei Würzburg. Hier werden in 85 Geschäften pro Jahr fast 50 Millionen Euro mit Designerware aus dem letzten Jahr oder zweiter Wahl zu Schnäppchenpreisen umgesetzt.

Direkt von der Fabrik sind hier alle Marken von Adidas bis Armani, Schuhe, Lederwaren, Bekleidung und Sportartikel zu ergattern. Der Andrang ist so groß, dass bereits eine Erweiterung um ein Drittel auf 13.000 Quadratmeter Fläche ansteht. „Die Angst des Einzelhandels in den umliegenden Städten ist berechtigt“ sagt Ulrike Gerhard, Wirtschaftsgeografin an der Universität Würzburg. In Städten wie Aschaffenburg oder Wertheim habe es bereits Insolvenzen gegeben. Allerdings, sagt Gerhard, „muss man auch im Sinne der Marktwirtschaft denken“.

Der Norden hinkt hier hinterher. Seit Jahren streiten die Schleswig-Holsteiner über ein FOC in Neumünster. Über die freie Marktwirtschaft und ihre möglichen Opfer grübelt auch Niedersachsens Landesregierung seit Monaten – mit stetig wachsender Verzweiflung. Der mögliche Bau eines Centers stößt in und um die betroffenen Gemeinden auf heftigen Widerstand. Bislang sind drei Zentren entlang der A 7 zwischen Hannover und Hamburg im Gespräch: in Soltau, Bispingen und Bad Fallingbostel. Vor allem der Einzelhandel steht auf der Zinne: Vergangene Woche präsentierte der Landesverband der Mittel- und Großbetriebe in Niedersachsen ein Gutachten zu den Auswirkungen eines FOC in Bispingen – mit düsteren Prognosen: Demnach würde die Hälfte des erwarteten Umsatzvolumens von rund 40 Millionen Euro aus umliegenden Städten wie Lüneburg oder Celle abgezogen.

Drei Stunden lang debattierten CDU-Parlamentarier in der vergangenen Woche das Projekt. Die Diskussion habe inzwischen „Dimensionen wie beim Rauchverbot“ erreicht, heißt es aus der Fraktion. Auch SPD und Grüne sind dagegen. Eigentlich hatte durch eine Änderung des Landesraumordnungsprogramms (LROP) der Bau von den Designer-Outlets auf der grünen Wiese erlaubt werden sollen. Bislang sind die nur in und um Städte mit mehr als 60.000 Einwohnern erlaubt. Das einzige FOC in Norddeutschland steht in Stuhr bei Bremen, im kommenden Herbst eröffnet das erste innerstädtische in Deutschland mitten in Wolfsburg.

Das zuständige Agrarministerium hatte die Shops auf dem platten Land zunächst per „Experimentierklausel“ möglich machen wollen, testweise in der Nähe von touristischen Attraktionen in der Lüneburger Heide. Wegen des Freizeitparks und der gerade eröffneten Ski-Halle bot sich Bispingen an. Nach Protesten nicht nur aus Soltau wurde die Entscheidung über den Konsumtempel zurück in die Regierungsfraktionen von CDU und FDP verlagert. Und die sind uneins darüber.

Deshalb dürfte es auf eine Verschiebung bis nach der Landtagswahl im Januar hinauslaufen: Die Niedersachsen wissen, dass es in der nordrhein-westfälischen CDU Massenaustritte wegen eines Outlets im Münsterland gab. Dort allerdings, weil die Landesregierung sich dagegen entschieden hatte, ein FOC zu erweitern. Heute dürften sich CDU und FDP also darauf einigen, FOC weiter zu verbieten, sich aber auf ein gesondertes Raumordnungsverfahren im nächsten Jahr verständigen, nach dem es einen Standort in der Lüneburger Heide geben soll – so hieß es am Wochenende aus der niedersächsischen CDU-Fraktion. Auch der Koalitionspartner kann dem Gutes abgewinnen: Bei einer Einzelfallprüfung ließen sich die Hürden so hoch legen, dass „der Einzelhandel in den besonders betroffenen Städten Lüneburg und Celle keinen Schaden nimmt“, heißt es aus der FDP.

Dazu rät auch Peter Collier: In Würzburg sei der Umsatz seit Eröffnung des „Wertheim Village“ zwar nur um zwei bis drei Prozent gesunken, aber: „Für einige war das der Todesstoß.“ Ein Standort an der Autobahn sei eben grundsätzlich günstiger als Flächen in Innenstädten. Nur wenn die Einzelhändler ein Gegenkonzept entwickelten, hätten sie eine Chance, sagt Collier.

Drei Jahre nach der Eröffnung sind seine schlimmsten Befürchtungen zwar nicht eingetreten. „Was an Handel entsteht“, sagt Collier dennoch, „sollte grundsätzlich in die Stadt.“