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„Desaster“ statt „Victory 86“

■ Je später der Abend ,je länger die Gesichter

Washington (ap) - Das Schild mit der Aufschrift „Victory 86“ wirkte am Dienstag abend im Hauptquartier der Republikaner in Washington deplaziert. Je später der Abend, desto länger wurden die Gesichter der Wahlhelfer von US–Präsident Ronald Reagans traditionsreicher „Grand Old Party“ im vornehmen Capitol Hill Club unweit des Kongreßgebäudes. Als die lokale Fernsehgesellschaft CNN genau zwölf Minuten vor Mitternacht den Kandidaten der Demokraten im Staat Washington zum Sieger erklärte und damit die Mehrheit dieser Partei im Senat endgültig feststand, leerte sich die Wahlparty der Republikaner schlagartig. Wer im nächtlichen Regen ein Taxi bekam, fuhr lieber nach Hause. Flüche und Schimpfwörter machten die Runde, wobei das Wort „Desaster“ der meistgehörte, aber noch mildeste Ausdruck war. Fünfzehn Millionen Dollar hatten die Republikaner in dem Wahlkampf ausgegeben, elf Millionen Schreiben versandt, zwölf Millionen Anrufe getätigt und Millionen von Briefwahlunterlagen an den Mann gebracht: alles in dem Streben, dem Präsidenten seine wenn auch knappe Mehrheit im Senat zu erhalten. Schließlich wurde ja das Repräsentantenhaus ohnehin schon klar von den Demokraten dominiert. Reagan selbst hatte die letzten Wochen des Wahlkampfes nur noch selten im Weißen Haus zugebracht, um stattdessen unermüdlich seine republikanischen Gefolgsleute in allen Teilen der USA vor Ort persönlich zu unterstützten. „Und nun war es doch vergeblich“, klagte eine enttäuschte Wahlhelferin. Dem Präsidenten werden nun einige der Demokraten (die jetzt Ausschußvorsitze im Senat übernehmen) das Regieren nicht gerade leichter machen. Einer davon wird Edward Kennedy aus Massachusetts sein, der wahrscheinlich an der Spitze des Richterwahlausschusses den konservativen Republikaner Strom Thurmond ablöst. Und für den aus Altersgründen ausgeschiedenen ultrarechten Barry Goldwater soll der SDI–Kritiker Sam Nunn den Streitkräfteausschuß übernehmen. Aufs Altenteil gegangen ist aber auch Thomas „Tip“ ONeill, der als bisheriger Sprecher des Repräsentantenhauses der eigentliche Gegenspieler Reagans auf seiten der Demokraten war. In dieser Position soll ihm nun der Abgeordnete Jim Wright folgen, der zwar ebenfalls Demokrat ist, aber im Gegensatz zu seinem Vorgänger die US–Hilfe für die Contra–Rebellen in Nicaragua unterstützt. Den Abgeordnetensitz ONeills nimmt übrigens ein weiterer Kennedy ein: Joseph Kennedy, Sohn des ehemaligen Justizministers Robert Kennedy. Er hat seinen Wahlkreis fast mit Dreiviertel–Mehrheit gewonnen. Dagegen unterlag seine Schwester Kathleen Townsend–Kennedy in Maryland ihrer republikanischen Gegenkandidatin. Die Republikaner konnten sich derweil nur damit trösten, daß sie bei den gleichzeitigen Gouverneurswahlen Boden gutmachten. Ein Kuriosum gab es dabei im Sonnenstaat Florida. Hier nahm der bisherige demokratische Gouverneur Bob Graham der Republikanerin Paula Hawkins den Senatssitz ab. Als Gouverneur folgt ihm aber der Republikaner Bob Martinez - übrigens der erste Hispano–Amerikaner an der Spitze Floridas. Gerhard Kneier

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