: Der zweite Mann
Kleinwellig gelockte Haare, skrupulöse Stirnfalten: Zum Tod von Joseph Cotten ■ Von Georg Seeßlen
Er war, auf den ersten Blick, die Verkörperung des Guten und Normalen, das die Faszination des Bösen nur um so stärker hervorhob. Die kleinwellig gelockten Haare, die skrupulösen Stirnfalten, die breite Nase, der zögernde Gang, die Gestalt, die wie geschaffen schien für Anzüge von der Stange, all das mochte auf eine verängstigte Mediokrität, auf eine fear of winning hindeuten. Joseph Cotten schien vom Helden mindestens ebenso weit entfernt wie vom Schurken.
So war er der ideale Widerpart des dämonischen Overreachers Orson Welles, eines Freundes und Förderers: nicht die gute Alternative zum Bösen, sondern der verlorene Kampf um Integrität im System des Bösen. Immer ist er Teil dieses anderen, sein Chronist, der keine Wahrheit findet, in „Citizen Kane“ (1941), das Gewissen, das nur das Zerstörerische beschleunigt, in „Der dritte Mann“ (1949), der Rivale, dem das Triebziel viel zu hoch und gefährlich erscheint. Das Orson-Wellessche Böse scheitert nach außen, im Drama, die Cottensche Moral scheitert nach innen.
Er ist der ewig Zurückgewiesene, an dem die Frau einfach vorbeigeht, ohne ihn anzusehen (was sollte sie da auch erblicken?), wie in „Der dritte Mann“, der gute Bruder von Gregory Peck in „Duell in der Sonne“ (1946), der nicht einmal die Dimension der Leidenschaft begreift, die Peck und Jennifer Jones zu Liebe und Tod führt. So kommt auch die Gewalt seines Rückschlages nicht aus dem Schwarz der Hölle, sondern aus dem Grau einer unbedeutenden Existenz, wie in Alfred Hitchcocks „Im Schatten des Zweifels“ (1942). Wir glauben Cotten diesen Umschlag vom moralischen Zweifler in den wahnsinnigen Mörder, weil beides aus demselben Grund kommt, der Unfähigkeit des Guten, erotisch zu sein, der Langeweile der Zivilisation. Sein bürgerlicher Serienmörder ist nichts anderes als die letzte Perversion des Moralismus. Wird er indes in die Rolle des tragischen Patriarchen gedrängt wie etwa in Sergio Corbuccis bizarrem Western „Die Grausamen“ (1966), dann wird auch der Schauspieler Cotten schlecht, zu dessen Vorzügen gewiß nicht die Wandelbarkeit gehört.
Cotten, 1905 in Petersburg geboren und als Theaterdarsteller einigermaßen erfolglos, bis Welles ihn an sein Mercury Theater in New York holte, war nicht das, was man einen Vollblutschauspieler nennt. Er spielte gewissermaßen immer einen geheimen Widerwillen gegen die Exhibition mit und betonte hier und dort, daß er in anderen, ruhigeren Berufen vielleicht sehr viel glücklicher geworden wäre. Aber gerade dieser Widerwillen, eine insgeheime Abwesenheit, machte ihn zur kongenialen Verkörperung der Retardierung im Drama des Bösen. Er ist das Unterdrückte, was das Böse in sich freisetzt, und erst diese Spaltung läßt uns von seiner Banalität wenigstens im Kino absehen.
Was anderen Schauspielern des grauen Hollywood, etwa Fred McMurray gelingen konnte, sich im Komischen aufzulösen oder den bürgerlichen Ort der grauen Moral zu definieren, konnte Joseph Cotten nicht erzielen. Ohne den großen Gegenspieler, ohne die heimliche Monstrosität, ohne die Destruktivität des Zögerns war seine Rolle leer.
Sein wahres Scheitern lag nie in der Gegenwart des schurkischen Gegenspielers, sondern in der Frau, die seine zivilisierte Eleganz mißachtete, dem zurückgenommenen Gentleman gar nach dem Leben trachtete wie Marilyn Monroe in Henry Hathaways „Niagara“ (1953). In allen großen Filmen mit Joseph Cotten gibt es den Moment, wo diese scheinbar so sichere Form von Verantwortung und guten Manieren in sich zusammenstürzt, wo aus der Verkörperung sozialer Tugenden das panische Kind zum Vorschein kommt, das für seine Anpassungsleistung so grausam bestraft wird. Da ist er kaputt und krank wie das Kind, das so fleißig und brav sein kann, wie es will, und doch die Aufmerksamkeit der Lehrerin nicht errungen hat. Und von Film zu Film glauben wir ihm weniger, daß er seine Niederlagen und seine stoisch hingenommenen Verluste wirklich in die bürgerliche Seele integrieren können wird.
Wie eine späte Rache ist es dann, wenn er in Robert Aldrichs „Wiegenlied für eine Leiche“ (1964) Bette Davis, die ihn Jahre zuvor in King Vidors „Beyond the Forest“ (1949) so übel behandelt hat, als einer, der seinen Tod, sein Verschwinden nur vorgetäuscht hat, in den Wahnsinn treibt.
Der zweite Mann wird nicht durch den Rivalen, dem er in Verwandtschaft oder Freundschaft eingeschrieben ist, sondern durch den Blick der Frau definiert. Das macht seine Rollen skandalöser als sie auf den ersten Moment erscheinen. Er ist nicht nur der straight man gegenüber dem spielenden, immer Liebe absorbierenden männlichen Kind, sein Spiel verweist vielmehr auch auf eine Wahlmöglichkeit der Frau. Der autonome Held steht, das kennen wir, zwischen der Mama und der Hure (die sein Problem gemeinhin dadurch zu lösen versteht, indem sie praktischerweise in eine Revolverkugel läuft); durch die Anwesenheit des zweiten Mannes steht die Frau in einer ganz ähnlichen erotisch-moralischen Option. Auch das Orson-Welles- und Gregory- Peck-Böse der Männlichkeit erledigt sich selbst. Aber Joseph Cotten wird das im Blick oder Nicht- Blick der Frau nicht verziehen. Er hat die undankbarste Rolle in einem ziemlich neurotischen Drama gespielt, das von einer großen Veränderung handelte, und eine so undankbare Rolle immer mit dieser Mischung aus erdhafter Eleganz, Mut und Verzweiflung ausgefüllt zu haben, dazu gehört ein enormes Maß an Leinwand-Energie.
Auch in seinen späteren Filmen oft eher bescheidenen Formats ist Joseph Cotten der gefährdete Mann, so als U-Boot-Kapitän, der von sowjetischen Agenten vernichtet werden soll in Marvin Chomskys Kalter-Kriegs-Schmonzette „Einsatz im Pazifik“ (1971), oder in japanischen SF-Thrillern, in denen er verzweifelt und mutig zusehen muß, wie wieder einmal die Welt untergeht.
Schön noch, daß Joseph Cotten seine letzte Rolle in einem der schönsten und kaputtesten Filme der Welt, in Michael Ciminos „Heaven's Gate“ (1980) spielte. Aber eigentlich war er kein Schauspieler für den Farbfilm. Es kostete viel Mühe, grau zu sein in Technicolor oder, wie in „Heaven's Gate“, unter dem Ansturm von Korruption und Gewalt, buchstäblich konturenlos zu werden. Grau ist eine interessante Farbe.
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