■ Der zweite Mann des Iraks zu Besuch in der türkischen Hauptstadt: Provokation erhält die Freundschaft
Jahrelang hatte man in Washington gedacht, die Türkei, im Clinch mit der EU amerikanischer Protektion dringend bedürftig, sei eine sichere Bank – und jetzt das. Während auf dem Luftwaffenstützpunkt Inçirlik auch gestern US-Kampfjets starteten und eine irakische Luftabwehrstellung bei Mossul bombardierten, wird Tarik Asis, zweiter Mann des irakischen Regimes, in Ankara der rote Teppich ausgerollt. Das politische Washington ist empört, wirklich überrascht dürfte das State Department allerdings nicht sein.
Die Türkei ist nach dem Irak der größte wirtschaftliche Verlierer des Golfkrieges. Jahrelang haben die USA sich nicht dafür interessiert, jetzt ist Bülent Ecevit, ein linker Nationalist und schon lange schärfster Kritiker der US-Politik im Irak, Ministerpräsident, und jetzt bekommt Washington die Quittung. Die Botschaft ist ganz einfach: Wenn ihr weiterhin den Luftwaffenstützpunkt Inçirlik nutzen wollt, müßt ihr eure Politik in der Region stärker mit uns abstimmen. Ecevit kann sich in dieser Frage der Unterstützung des größten Teils der Bevölkerung sicher sein, was sich bei den bevorstehenden Wahlen positiv für ihn auszahlen dürfte. Das ist aber nicht der entscheidende Grund. Seit die USA eine politische Lösung im Irak ganz aufgegeben haben und Saddam Hussein nun durch ständige militärische Attacken zermürben wollen, droht die Türkei in einen Krieg hineingezogen zu werden, den sie nicht führen will. Für die türkischen Militärs ist Saddam nicht der Böse, sondern Bagdad ein potentieller Verbündeter im Kampf gegen kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen in beiden Ländern.
Letztlich wird das natürlich nicht zum Bruch mit den USA führen – dafür ist die materielle und ideelle Orientierung an der westlichen Vormacht viel zu groß. Aber Madame Albright wird wohl dem türkischen Verbündeten in nächster Zeit mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Vor allem müssen die USA jetzt möglichst bald ein Konzept präsentieren, wie es mit dem Irak und der Region insgesamt weitergehen soll. Bleibt es dabei, daß man die Türkei lediglich als Bomberstützpunkt braucht, wird sich die „Miete“ für Inçirlik wohl drastisch erhöhen. Mit ein paar Patriot- Stellungen als Flugabwehr gegen irakische Rakten ist es dann nicht mehr getan. Jürgen Gottschlich
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