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Der zögerliche Wassertrinker

■ Robert Gernhardt las Robert Gernhardt

Zuerst erschien eine Flasche Wasser, Apollinaris, ein Liter. Dann ein Strauß bunter Blumen, schließlich ein Glas. Alles eingeschwebt von jungen Damen unter fachkundiger Anleitung einer Reihe langweilig gekleideter Herren. Auch bei fnac hat man sich auf die althergebrachte Arbeitsteilung geeinigt: Frauen tragen die Nahrung auf, Männer die Verantwortung.

Das Wasser ist für den größten deutschen Poeten des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, Robert Gernhardt, ein Balte aus Frankfurt, der zu einer Lesung erwartet wird. Der Spätnachmittag gilt nicht gerade als Idealtermin für laut gelesene Lyrik, trotzdem pendelt sich die Zahl der Besucher bei beachtlichen sechzig ein. Ein neues Buch Gernhardts ist auf dem Markt (also im Haus), Lug und Trug, drei Geschichten, keine Gedichte.

Spot an, Dame schenkt Wasser in Glas, er kommt. Wie nicht anders zu erwarten: keine besonders imposante Erscheinung; seit die großbürgerlichen Dichter ausgestorben sind, pflegen ihre Nachfolger sportive Lederjacken und Jeans. Zuerst stimmt jedoch der Leiter der Buchabteilung des Hauses die Fangemeinde auf das Kommende ein, verspricht eine »kurzweilige Angelegenheit«, drückt sein Bedauern über unsere Epoche aus, die seiner Ansicht nach des Humoristischen entbehrt, und lobt den Dichter, der sich in den »Formen des komischen Ausdrucks« derzeit wie kein anderer zurechtfinde. Das sorgt für gespannte Vorfreude und aufgeräumte Stimmung im Saal.

Robert Gernhardt geht ans Stehpult und erschreckt die Anwesenden mit der Ankündigung eines Kommentars zum Thema Sascha Anderson. Das Ganze entpuppt sich, selbstverständlich muß man da schon sagen, als Satire. Dann Auszüge aus der angekündigten Kurzgeschichte Tübingen oder Belegte Seelen mit schwäbischen und baltischen Einsprengseln. Na ja. Gernhardt traut der Sache selber nicht so recht, liest schnell, haspelt, versucht sich mit Zwischenerklärungen und hastet durch die Geschichte, als ob da irgendwann irgendwo noch das Wesentliche käme. Genau darauf baut auch das Publikum und wird nicht enttäuscht. Gernhardt greift zu den Gedichtbänden und damit in die Vollen.

Robert Gernhardt mag ein überzeugender Satiriker, ein zufriedenstellender Erzähler und, wie sich zeigte, ein zögerlicher Wassertrinker sein, aber er ist vor allem ein begnadeter Forscher auf dem Feld der Poesie. Seit fünfundzwanzig Jahren dreht und wendet er die überlieferten Hülsen der Poetik und füllt sie mit seinen hier mal kryptischen, da mal handfesten Botschaften aus der Welt des Du und Ich.

Gernhardt am Stehpult lebt auf, liest, lächelt, zitiert und kokettiert, erzählt Geschichten aus Rom, wo er seinen Vorgänger Goethe, den anderen Frankfurter, bei der Gedichtproduktion um Längen überflügelt hat (»anderthalb pro Tag«). Eigentlich wollte er zum Ende hin nur noch schnell ein paar Gedichte lesen, zehn werden's, dann zwanzig. Zuspätgekommene ringen ihm sogar eine Zugabe ab. Signieren will er dann nicht mehr, »nur« jedermanns Lieblingstier zeichnen. Auf selbiges hoffend, haben manche ihre alten Originalausgaben mitgebracht, andere dezimieren flugs die hohen Bücherstapel am Eingang. Die Schlange der Fans windet sich einmal um den Saal. Der junge Leiter der Abteilung Buch lächelt zufrieden. Günther Grosser

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