■ Der wachsende Flugzeugverkehr bleibt nicht ohne Folgen für unser Klima Von Rainer Kurlemann: Abgasfahnen am Himmel
Ein bundesdeutsches Forschungsprojekt untersucht jetzt erstmals genau die Auswirkungen von Flugzeug-
abgasen auf die Chemie der Atmosphäre.
Fliegen ist schon lange nicht mehr das Privileg weltweit operierender Geschäftsleute. Der Pauschaltourismus sorgt für glänzende Zuwachsraten bei den Fluggesellschaften. Fünf bis sieben Prozent wird jedes Jahr mehr geflogen, ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Und während die Automobilisten auf dem Erdboden sich mit höheren Steuern für die sogenannten „Stinker“ ohne Katalysator abfinden müssen, scheint über den Wolken die Freiheit noch grenzenlos. Die Schadstoffe der wachsenden Flugzeugflotte waren jahrelang kein Thema. Weder für die Politik noch für die Wissenschaft. Das soll sich ändern.
Sieben verschiedene Institute der Helmholtz-Gesellschaft deutscher Forschungszentren (HGF) haben jetzt der großen Unbekannten in der Schadstoffdiskussion auf den Zahn gefühlt. Fünf Jahre lang untersuchten sie mögliche Auswirkungen des Luftverkehrs auf das Klima – per Computersimulationen. Mit diesem Projekt liegt die deutsche Forschung weltweit vorn. Erste Resultate liegen nun vor: Für die Wissenschaftler besteht kein Grund, Alarm zu schlagen, wohl aber zu warnen.
„Die Kondensstreifen der Flugzeuge haben das Potential für eine Klimaänderung“, richtet Robert Sausen vom Institut für Physik der Atmosphäre in Weßling den Blick auf die augenscheinlichste aller Auswirkungen des Luftverkehrs. Den zweiten Schwerpunkt sehen die Forscher in der Belastung durch Stickoxide (NOx) und ihre Auswirkungen auf die Ozonkonzentration. „Die Menge an NOx in den oberen Atmosphäreschichten ist häufig viel höher, als wir bisher geglaubt haben“, kommentiert Franz Rohrer vom Institut für Atmosphärische Chemie in Jülich.
Gleichzeitig warnt er vor Schwarzweißmalerei. „Stickoxide haben in der oberen Troposphäre gewissermaßen die Funktion einer Weiche, ob durch photochemische Prozesse Ozon gebildet oder abgebaut wird“, erklärt Rohrer. Nichtlineares Verhalten nennen die Wissenschaftler das, wenn derselbe Anstieg der Konzentration an Stickoxiden ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Atmosphäre haben kann.
Mit einer Milchbubenrechnung überzeugten die Befürworter größerer Flugzeugflotten bisher gern ihre Widersacher: Lediglich zwei Prozent der weltweit ausgestoßenen Abgase entstammen dem Luftverkehr. Außerdem werden die Triebwerke der Flieger immer sparsamer. Selbst wenn sieben Prozent mehr geflogen wird, steigt der Treibstoffverbrauch der Jets im gleichen Zeitraum vermutlich nur um drei bis vier Prozent.
Doch was für die Summe der Schadstoffemissionen stimmt, sieht im Detail ganz anders aus. Flugzeuge bringen ihre Emissionen direkt in acht bis zwölf Kilometer Höhe, den oberen Schichten der Troposphäre, ein. Die Durchmischung der verschiedenen Luftschichten ist über das Jahr hinweg sehr unterschiedlich. Im Sommer ist die Atmosphäre stärker in Bewegung als im Winter, Emissionen aus Bodennähe können dann leichter in größeren Höhen transportiert werden.
So schwankt der Anteil der Stickoxide aus Flugzeugabgasen entlang der internationalen Flugkorridore zwischen sommerlichen 20 bis 40 und winterlichen 60 bis 80 Prozent. Er ist damit viel höher als bisher angenommen. Exakte Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn über eine der natürlichen Hauptursachen für Stickoxide kann nur spekuliert werden: Während eines Gewitters entstehen durch Blitze große Mengen an NOx. Bisher wagt es niemand, diesen Anteil exakt zu beurteilen.
Auch mit den Auswirkungen von Kondensstreifen auf das Klima sind die Wissenschaftler zunächst vorsichtig. Bei einer bestimmten Zusammensetzung der Atmosphäre gefriert das dort vorhandene Wasser auf kleinen Partikeln in den Flugzeugabgasen und bildet Eiskristalle. Diese zusätzlichen Wolken sind auf Satellitenbildern deutlich zu erkennen. Über Europa beträgt der Bedeckungsgrad des Himmels durch Kondensstreifen bereits heute 1,1 Prozent, über Nordamerika sind es mit 1,8 Prozent sogar noch etwas mehr.
Doch über die Einschätzung von Wolken auf das Klima sind sich die Wissenschaftler nicht einig. Wolken haben unterschiedliche Effekte: Dicke Wolken reflektieren mehr Sonnenlicht, und die Atmosphäre kühlt sich ab, dünne lassen das Sonnenlicht passieren, nicht aber die Wärmestrahlung von der Erde. Damit unterstützen dünne Wolken den Treibhauseffekt.
In einer vereinfachten Vorgehensweise haben die Wissenschaftler am Computer den Bedeckungsgrad der Wolken stufenweise erhöht. Danach führen zehn Prozent mehr Wolken zu einer Erwärmung der Tropopause um vier Grad. Auch für nur zwei Prozent mehr Wolken liefern die Rechnungen eine Temperaturerhöhung. „Wie groß das in Zahlen ist, läßt sich allerdings noch nicht genau sagen“, schränkt Sausen ein.
Klarere Ergebnisse liefern die Auswirkungen der Stickoxide aus Flugzeugabgasen. Über ihren Einfluß auf die Ozonkonzentration können sie die Temperatur in den oberen Schichten der Atmosphäre verändern. Als Spitzenwert aus Modellrechnungen mit und ohne Flugverkehr ermittelten die Chemiker für bestimmte Regionen in den nördlichen Breiten der Erde bereits heute einen Temperaturanstieg von zwei Zehntel Grad.
Der Ozongehalt in der wetterbestimmenden Troposphäre und Tropopause ist um vier Prozent gestiegen. Ozon wirkt hier als Treibhausgas. Werden bis zum Jahr 2015 heutige Wachstumsraten des Flugverkehrs vorausgesetzt und gleichzeitig der Überschallverkehr berücksichtigt, könnte der Ozonzuwachs auf 22 Prozent ansteigen. In weniger als zwei Jahrzehnten würde sich die Temperatur in der Troposphäre um weitere 0,2 Grad erhöhen.
Im Gegensatz zu Kondensstreifen haben die Forscher bei den Stickoxiden die Gelegenheit, ihre Rechnungen mit tatsächlichen Meßwerten zu vergleichen. „Wir haben Vertikalprofile in stärker und weniger stark belasteten Bereichen entlang des nordatlantischen Flugkorridors aufgenommen“, erklärt Rohrer. Diese Messungen stimmten mit den Vorhersagen gut überein. Konkret gingen vor Irland und Frankreich, vor Portugal und den Kanarischen Inseln Ballone, gespickt mit Meßinstrumenten, in die Luft. „Die Emissionen des Luftverkehrs sind regional deutlich nachweisbar“, bewertet Rohrer die Ergebnisse.
Mit einem Vorurteil räumt Sausen sofort auf: „Der herkömmliche Luftverkehr im Unterschallbereich kann nicht am weiteren Abbau der schützenden Ozonschicht in der Stratosphäre mitwirken.“ Doch die Szenarien, die die Wissenschaftler berechnet haben, sehen auch besonders drastische Entwicklungen vor. Eine Flotte von 500 Überschallflugzeugen bis zum Jahr 2015 zum Beispiel. Die Folge: Ein Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre, also oberhalb der heute üblichen Flugkorridore, um vier Prozent wäre zu erwarten. „Aber auch in diesem Fall bleiben für den Ozonabbau und das Ozonloch die FCKW das Hauptproblem. Das müßte extrem viel geflogen werden, um ähnliche Dimensionen zu erreichen“, rückt Sausen die Verhältnisse zurecht.s
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