Der vom Glück Verfolgte

David Lieske ist erst seit kurzem Künstler und arbeitet nach Auftragslage. Vorher war er Hausbesetzer, DJ und Musikproduzent. Manchmal aber zieht der Kunstmarkt die Kinder, die ihn wirklich gut verstehen, im Eilverfahren groß

David Lieske rollert mit dem Bürostuhl über das Parkett seiner Wohnung in Mitte, wo er lebt und arbeitet. Auf dem Boden türmen sich Kunstkataloge, von eigenen Werken ist weit und breit nichts zu sehen. Mit Lieske sprechen heißt, nicht über seine Arbeiten zu räsonieren, sondern die Bedingungen von Kunst zu analysieren. Der 26-Jährige setzt ohne Umstände zum Hechtsprung in den Diskurs an.

Dabei ist David Lieske mindestens so naseweis wie salomonisch. Er erläutert die Problemlage der Künstler, die seine nicht ist: „In der Kunst geht es weder um Werke noch um Fortschritt. Es geht nur um Konjunktur.“ Lieske bewegt sich seit zwei Jahren mit Vergnügen in diesem Cashflow. Wie verkauft sich die mit Buttermilch bestrichene Fensterscheibe eines Ausstellungsraums? Ganz gut, wie er, der sich als glückverfolgt bezeichnet, festgestellt hat: Die Arbeit, die Lieske ausgehend von den zugekleisterten Fenstern der leer stehenden Geschäfte in Berlin entwickelte, ist längst bei einem Sammler installiert.

David Lieske bewegt sich erstaunlich sicher sowohl im postmodernen System der Worthülsen als auch im kunstinternen System der Referenzen. Seine Schriftprojektionen, Fotografien und Installationen sind streng, heruntergebrochen auf einen Gedanken und vordergründig intellektuell. Er lacht: „Eigentlich ist die Angelegenheit trivial, ich verschiebe die Bedeutung der Gegenstände und bringe sie in neue Zusammenhänge.“ Dazu brütet er nicht lange über Entwürfen. Die Konzeption der Einzelausstellung im Februar bei seiner Galerie Buchholz in Köln hat er bereits fertig. „Mein größtes Problem ist, dass ich mich so schnell langweile“, sagt er, fast theatralisch.

Lieske hat einen sehr speziellen Arbeitsmodus entwickelt: Er wird nur dann aktiv, wenn er einen Auftrag bekommt. Dann macht er einen Entwurf und delegiert daraufhin alle weiteren Arbeitsschritte: Braucht er ein Foto, ruft er einen Fotografen an, braucht er eine Hürde, ruft er eine Pferdehürdenfirma an. „Ich verspüre keinerlei Bastelbedürfnis“, sagt er, dem auch vor sich hin werkelnde Atelierkünstler suspekt sind. Als Künstler ist er denn auch alles andere als überidentifiziert: „Wenn mir die Kunstszene zu blöd wird, mache ich etwas anderes.“

Sehr oft hat Lieske schon auf das schnellere Pferd gewechselt. Der adrett gekleidete Stipendiat der Jürgen-Ponto-Stiftung war als Teenager ein zorniger Autonomer, „einer von der Sorte, der jederzeit ins bürgerliche Elternhaus hätte zurückflüchten können“, wie er sagt. „Später wurde ich DJ, um eine sinnvolle Aufgabe beim Ausgehen zu haben.“ 2000 gründet er mit Peter Kersten das House-Label Dial in Hamburg: „Techno ist ein stabiles System, das auf Spaß mit Drogen zielt. Wir wollten genau darin eine politische Debattenkultur etablieren – aber das wurde bestenfalls zur Kenntnis genommen.“

Deswegen wechselte David Lieske – obwohl er das Label nebenher weiter betreibt – von der Musik zur Kunst: „Als bildender Künstler kann man besser das System vorführen, dessen Teil man ist.“ Der Wechsel fiel ihm leicht, er hatte als „Carsten Jost“ vom DJ-Pult aus genügend Möglichkeit, den Habitus ahnungslos feiernder Künstler gründlich zu studieren. Das hat Lieske gereicht: Er, der nie eine Kunsthochschule besucht oder sonst eine Ausbildung in Angriff genommen hat, reüssiert als Künstler. Er hat als autonomer Bürgerschreck und DJ gelernt, wie man mit Empörung und Begeisterung, mit pathetischen Ideologien, Hypes und Dresscodes handelt – allesamt Waren auf dem Kunstmarkt. Lieske hat bewusst diesen Markt gewählt – und ist gleichzeitig dessen lächelndes Geschöpf. Er weiß, wie man connectet und netzwerkt, was sich bei ihm so anhört: „Enger Kontakt mit Galeristen ist Teil des Spiels mit Behauptungen.“ David Lieske ist ein Feldforscher in verschiedenen Szenen – momentan hauptberuflich Stuntman für den Kunstmarkt.NORA SDUN