american pie : Der verhinderte Held
Tampa Bay gewinnt im siebten und entscheidenden Spiel den Stanley Cup, weil Jarome Iginla zur Unzeit unsichtbar wird
Er hätte der Held werden können. Er hätte die Calgary Flames zum Stanley Cup schießen, den NHL-Titel nach elf Jahren wieder zurück nach Kanada holen und Nationalheiliger werden können im Mutterland des Eishockey. Doch Jarome Iginla war verschwunden. Der rechte Flügelstürmer der Calgary Flames saß auf der Bank, das schon, er kurvte auch übers Eis. Aber Tore? Fehlanzeige. Am Ende des wichtigsten Spiels seiner Laufbahn, am Ende des siebten und entscheidenden Spiels der Final-Serie gegen Tampa Bay Lightning stand in der Statistik eine runde, ernüchternde Zahl – abgegebene Torschüsse: 0.
So kam es, wie es kommen musste: Calgary verlor 1:2 in Tampa und der Cup geht zum ersten Mal nach Florida. Doch es lag nicht allein am unsichtbaren Iginla. Auch der Rest der Flames brachte in den beiden ersten Dritteln gerade mal sieben Schüsse auf das von Nikolai Khabibulin gehütete Lightning-Tor. Der Ukrainer Ruslan Fedotenko hatte zweimal getroffen, bevor Craig Conroy Mitte des letzten Drittels in Überzahl der Anschlusstreffer gelang und Calgary sich noch einmal aufbäumte.
Doch insgesamt zündeten beide Teams nicht eben ein offensives Feuerwerk: Insgesamt wurden gerade mal 32 Schüsse abgegeben, die Torhüter waren weniger überragend als eher unterbeschäftigt, während sich die Teams in der neutralen Zone beharkten. Den Lightnings wird es egal sein, aber die NHL darf sich sorgen: Trotz umkämpfter und attraktiver Playoff-Serien sanken die Einschaltquoten auf historische Tiefststände. Und mit Iginla spielt der Star mit dem größten Marketingpotenzial, der als Sohn eines nigerianischen Einwanderers der Tiger Woods des Eishockey werden könnte, ausgerechnet in einem der kleinsten Fernsehmärkte und wird vom US-Publikum vollständig ignoriert. So ist Eishockey bei Fernsehzuschauern mittlerweile bisweilen weniger beliebt als Übertragungen von Angelwettbewerben. Außerdem droht, wenn im September der Vertrag zwischen Klubbesitzern und Spielergewerkschaft ausläuft, ein Arbeitskampf, von dem sich die NHL womöglich nicht mehr erholen könnte.
Sollte die kommende Saison tatsächlich abgesagt werden oder zumindest verspätet starten, dann, so wird in Europa längst spekuliert, werden die Stars in die alte Welt kommen, um sich hier ein Zubrot zu verdienen. Fraglich, ob Jarome Iginla eine deutsche oder schwedische Meisterschaft wird trösten können. Irgendwann aber wird sicher wieder auch um den von Lord Stanley im Jahre 1893 gestifteten, unförmigen Pott gespielt. Und Iginla bleibt mit 26 Jahren noch Zeit, ihn endlich zurückzuholen nach Kanada. Aber Vorsicht: Das kann dauern. Bis Montag war Lightning-Kapitän Dave Andreychuk Rekordhalter in der zweifelhaften Statistik NHL-Einsätze ohne Cup-Gewinn. 1.758-mal musste er auflaufen, bis er schließlich erreicht hatte, wovon jeder Eishockey-Spieler träumt: dass sein Name eingraviert wird auf dem Stanley Cup. TO