Der vergessene Krieg im Jemen: Ausschluss der Öffentlichkeit
Mindestens 80 zivile Opfer hat es im von Aufständischen kontrollierten Teil des Landes gegeben. Bemühungen um einen Waffenstillstand waren Anfang September gescheitert.
KAIRO taz | Es ist ein vergessener Krieg in einem vergessenen Land, das langsam vor die Hunde geht. Nur selten erreicht der Konflikt im Jemen zwischen der Zentralregierung in Sanaa und den schiitischen Huthi-Aufständischen im entlegenen Norden des Landes internationalen Nachrichtenwert.
Am Donnerstag war es wieder so weit. Berichte sprechen von mindestens 80 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, die bei einem Angriff der jemenitischen Luftwaffe im Adi-Tal in der Grenzprovinz Sadaa, ein unter mehreren Bäumen in der ansonsten kahlen Landschaft errichtetes improvisiertes Flüchtlingslager, ums Leben gekommen sein sollen. Lokale Mitarbeiter von Hilfsorganisationen erzählen von einem Angriff am Mittwochmittag, von "Körperteilen, die durch die Luft geflogen sind" und von einem "See aus Blut". Die jemenitischen Behörden bestätigten den Angriff, behaupten aber, ein Kampfjet habe Rebellen attackiert, die aus einer Ansammlung von Zivilisten heraus geschossen hätten. Keine der Version konnte von unabhängiger Seite bestätigt werden. Journalisten und internationale Hilfsorganisationen werden aus dem Kampfgebiet ferngehalten.
Der Krieg findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, so dass weder dessen Opfer noch dessen Flüchtlinge gezählt oder versorgt werden können. Nur in der Hauptstadt Sanaa sind sie fast täglich zu hören, die Kampfjets auf dem Weg zu ihrem Einsatz im Norden. Der seit fünf Jahren schwelende Konflikt, war Mitte August eskaliert, als die Huthi-Rebellen einen strategisch wichtigen Militärposten auf der Schnellstraße zur saudischen Grenze überrannt hatten. Die Regierung startete daraufhin eine Offensive mit Artillerieeinsatz und erstmals auch nächtlichen Luftangriffen. Der Versuch eines Waffenstillstands war am 4. September innerhalb weniger Stunden gescheitert. Letzten Mittwoch hatten die Rebellen in einem Schreiben an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erneut ihre Bereitschaft zu einem "bedingungslosen Waffenstillstand" erklärt. Die Regierung macht diesen aber von einer Entwaffnung der Rebellen abhängig.
Hintergrund des Konflikts sind Stämme, die der schiitischen Saiditen-Sekte angehören und die gegen die Zentralregierung rebellieren, weil ihre Region vollkommen vernachlässigt wird. Ihr Name, Huthi-Rebellen, stammt von ihrem früheren Anführer Hussein Al-Huthi, der letztes Jahr bei Zusammenstößen mit der Armee getötet worden war.
Letzten Monat leitete die Regierung Truppen, die eigentlich auf Drängen der US-Regierung zu Kampf gegen al-Qaida eingesetzt werden sollten, zum Einsatz gegen die Huthis im Norden um. So werden gerade in Washington immer wieder Stimmen laut, die befürchten, dass der langsam zerfallende Jemen schleichend nicht nur für die Region zu einem Problemfall wird: einem zweiten Afghanistan oder Somalia, jenseits staatlicher und damit internationaler Kontrolle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt