1944 sprengte ein jüdisches Todeskommando zwei Krematorien in Auschwitz. „Grauzone“ erzählt davon : Der vergessene Aufstand
Es ist seltsam, wie wenig Werbung für diesen Film gemacht worden ist. Kaum Trailer im Kino, keine Titelgeschichten im Stern, den Spiegel war er nicht einmal eine Kinokritik wert. Dabei behandelt Grauzone gleich zwei Aspekte des Holocaust, die noch nie in einem Spielfilm verarbeitet wurden: die einzige Häftlingsrevolte im KZ Auschwitz und die Rolle der so genannten Sonderkommandos, von denen der Aufstand ausging. Es handelte sich dabei um jüdische Häftlinge, die zur Arbeit in den Krematorien abgestellt waren. Sie mussten die Deportierten in die Auskleideräume und in die Gaskammern führen. Danach mussten sie die Toten aus den Kammern schaffen, ihnen die Goldzähne herausreißen, die Köpfe scheren und sie in den Krematorien verbrennen. Einige von ihnen trugen die Leichen ihrer eigenen Frauen und Kinder ins Feuer.
Es ist gespenstisch, wie Regisseur Tim Blake Nelson die mörderische Monotonie des Häftlingsdaseins einfängt. Das Stapeln der Leichen erscheint manchmal wie das Arbeiten am Fließband – und ist doch der einzige Weg, „wenn man sich nicht sofort umbringen wollte“, wie einer von ihnen sagt.
Es gab nur wenige Zeitzeugen, die über die Arbeit in den Sonderkommandos berichteten. Denn die Betroffenen litten unter einem doppelten Stigma: Während sie einerseits Opfer waren, die täglich mit der eigenen Ermordung rechnen mussten, galten sie den anderen KZ-Insassen als Handlanger der Täter. Der jüdische Pathologe Miklos Nyiszli, auf dessen Erinnerungen der Film basiert, schrieb: „Ein Angehöriger des Sonderkommandos schläft in einem geheizten, gelüfteten, sauberen Raum. Seine Verpflegung ist gut.“ Diese Privilegien trugen den Kommandos den Hass ihrer Mithäftlinge ein, sie ermöglichten ihnen allerdings auch, den Widerstand zu formieren. Vielleicht führte gerade diese Zerrissenheit dazu, dass die einzige Revolte in Auschwitz gerade von ihnen ausging.
Der Amerikaner Nelson, dessen Familie nach der Reichspogromnacht aus Deutschland in die USA geflohen war, sagt, er habe immer nach einer Geschichte gesucht, die so noch nicht erzählt worden sei. Mit Grauzone hat er das geschafft. Er hat einen äußerst komplexen Film gedreht, der immer wieder bei der gleichen Frage anlangt: Kann man in einer unmoralischen Umgebung noch moralisch handeln? Was soll der junge Mann vom Sonderkommando etwa tun, wenn ihn einer der Deportierten fragt, ob sie alle getötet werden? Soll er ihn anlügen? Oder ihm die Wahrheit sagen und damit eine Massenpanik, den eigenen Tod sowie den seiner Mithäftlinge riskieren?
Es gibt keine Antwort auf solche Fragen, und der Film versucht auch nicht, sie zu finden. Er schildert einerseits pure Aussichtslosigkeit und bringt andererseits ein Symbol der Hoffnung ins Spiel, das zumindest ansatzweise erklärt, warum Menschen in einer unmenschlichen Umgebung wie Auschwitz Kraft zum Überleben fanden.
Eines Tages entdeckt Rosenthal, einer der Arbeiter des Sonderkommandos, unter den Leichen ein junges Mädchen, das noch atmet. Sie verkörpert das Unmögliche, die Auferstehung von den Toten. Für Rosenthal, der bis dato keine Gefühlsregung gezeigt hat, steht fest: Das Mädchen muss gerettet werden. Doch die Gruppe befindet sich kurz vor dem Aufstand. „Versau das nicht wegen eines Menschen“, warnt der Anführer Schlermer. Doch auch er kann das Mädchen nicht ihrem Schicksal überlassen.
Der Aufstand findet statt, die Widerständler sprengen zwei Krematorien. Am Ende liegen alle auf dem Boden und warten auf den Kopfschuss. Niemand kann sagen, ob sie mit ihrer Revolte auch nur ein Leben gerettet haben. Aber sie haben ein Zeichen der Menschlichkeit gesetzt in einer unmenschlichen Zeit. Carolin Ströbele
Do, 27.1., 20.30 Uhr, 3001