piwik no script img

Archiv-Artikel

Der unsichtbare Atem der Stadt

Brummen, Brausen, Hämmern: Die Magnet-Kopfhörer der Künstlerin Christina Kubisch machen elektromagnetische Strahlung hörbar. Ihr „Electrical walk“ entlarvt Elektrosmog-Dschungel und Wellen-Schneisen im niedersächsischen Oldenburg

Es ist wie ein „ommm“: ein summender Urklang, der einen überall begleitet. Etwas, dessen Existenz man vorher nie bemerkt hat. Aber doch: Die Stadt atmet geräuschvoll. An jeder Ampel steigert sich das Summen, an jedem Stromkasten wird es zum Brausen. Vor dem LED-Display einer Spielhölle fühlt es sich an, als stünde man neben einem Presslufthammer.

Die Künstlerin Christina Kubisch macht elektromagnetische Wellen hörbar. Ihre „Electrical walks“ zeigen Städte von einer neuen Seite: New York, London, Karlsruhe – und jetzt das niedersächsische Oldenburg. Im Rahmen der Ausstellung „sound//bytes_“ ist sie derzeit im Edith-Ruß-Haus zu Gast. Mit den von ihr entwickelten Kopfhörern können sich Besucher auf einen Spaziergang machen, der sie zu den dichtesten Elektrosmog-Konzentrationen der Stadt führt – und damit zu den schönsten Elektrosounds.

Das Prinzip beruht auf der Übertragung von Klängen, die entstehen, wenn sich magnetische Felder begegnen. In früheren Arbeiten hatte Kubisch versucht, das Brummen benachbarter Felder herauszufiltern, das ihre Klanginstallationen störte. Schließlich kapitulierte sie vor der Elektrosmog-Übermacht und beschloss, sich diesem Phänomen an die Fersen zu heften.

„Dahinter steckt keine ökologische Intention“, sagt Sabine Himmelsbach, Leiterin des Edith-Ruß-Hauses. „Es geht um Wahrnehmung.“ Deswegen werden die gesammelten Klänge, die die elektrischen Spaziergänger auch selbst aufzeichnen dürfen, am Ende nicht etwa für eine Öko-Protestkundgebung verwendet. Sondern mit Hilfe des Bremer DJs Lutz Pruditsch alias Tarkatak live zu einer Party-Performance gemischt.

„Ist das gut oder schlecht?“, fragt der Mann vom teuren Sportmode-Geschäft zweifelnd, wenn man ihm von dem warmen, sonoren Ton des Sicherheitssystems an seiner Ladentür vorschwärmt. Andernorts hat Kubisch die Erfahrung gemacht, dass die Sicherheitsleute an den Kaufhaus-Eingängen die Lust auf ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn sie sehen, wie die Kopfhörer-Träger beim Passieren der elektrischen Schranken zusammenfahren. Die Oldenburger Verkäuferinnen und Verkäufer aber bleiben gelassen: Von Handy-Strahlung habe man ja schon Übles gehört – aber Gesundheitsschäden im Kaufhaus? Die Bedenklichkeit von Elektrosmog mag umstritten sein, hier jedenfalls ist sie kein Thema. „Viele schöne Töne!“, ruft einer noch hinterher.

Nichts ist so, wie es scheint, das lehrt der Rundgang. Die scheinbar heiligen Hallen des Kulturzentrums PFL, Highlight des Oldenburger Klassizismus, entpuppen sich als Dschungel, in dem alle Fahndung nach den Quellen der Brummtöne vergebens ist. Hinter den gediegenen Fassaden traditionsreicher Bankhäuser schrillen die Geldautomaten nervös und ohrenbetäubend. Eine Diskothek entpuppt sich auch tagsüber als ziemlich geräuschvoller Ort. Und mitten auf einer Kreuzung in der Fußgängerzone brummt es plötzlich los – wer weiß, warum. Nur die Lambertikirche ist eine Oase der Ruhe – mit und ohne Magnet-Kopfhörer.

Je mehr neue Technik in unseren Alltag einzieht, weiß Sabine Himmelsbach, desto mehr neue Sounds offenbaren die Kopfhörer. In der Shopping-Meile führt der „Electrical walk“ entlang der musikalischsten Sicherheitssysteme. Die stehen offen und ehrlich da und sagen dem potenziellen Kunden, dass er zugleich ein potenzieller Dieb sei. Oder aber sie verstecken sich diskret. Den Kopfhörern entgeht beides nicht: Im Eingang eines gediegenen Kaufhauses folgt man dem immer lauter werdenden Brummen und entdeckt schließlich ein unschuldiges Muster in der Decke, das eher wie ein Lüfter aussieht. Da steht man zwischen den vorbeieilenden Einkäufern, umsaust vom Gebläse der Eingangtür – es fühlt sich an, als lande oben gerade ein Hubschrauber. ANNEDORE BEELTE

Konzert „The Oldenburg Walks – Electromagnetic Live Mix“: morgen, 20 Uhr, Edith-Ruß-Haus, Katharinenstraße 23. Die Ausstellung läuft noch bis zum 29. April