: Der ungeübte Spagat des Bettino Craxi
Italiens Sozialisten müssen die Klientel im Süden hätscheln und gleichzeitig den „Ligen“ im Norden Paroli bieten ■ Aus Rom Werner Raith
Mit dem weltoffenen Gehabe der italienischen Sozialisten ist es nun ziemlich abrupt vorbei. Das Fürchten gelehrt haben die Sozialistische Partei die schwindelerregenden Wahlerfolge der separatistischen „Ligen“ in Norditalien — zuletzt bei der Parlamentswahl im April, wo die PSI von ihnen locker überholt wurde und vielerorts die „Ligen“ stärkste Partei geworden sind. Ihr Rezept ist simpel: Da der Großteil der in Italien abgeführten Steuern aus dem Norden kommt, der Süden dagegen ein reiner Zuschußbetrieb ist, wollen die Nordlichter selber bestimmen, was mit ihrem Geld geschieht. Mit einer derartigen Maxime könnte sich Craxi, gebürtiger Mailänder, zwar anfreunden — schließlich stärkte es auch seine eigenen Aspirationen auf das Amt des Ministerpräsidenten.
Der feine Unterschied jedoch: Während Craxis Sozialisten die Gelder von Rom aus verteilen wollen, möchte „Ligen“-Chef Umberto Bossi das abzuführende Geld ausnahmslos im Norden behalten: Schluß mit der Enwicklungshilfe für den Süden, wo das Geld eh nur in mafiosen Kanälen verschwindet, Schluß mit der unkontrollierten Klientelwirtschaft der Regenten in der Hauptstadt. Wer Lombarde ist oder Piemontese, Veneter oder Ligure, soll das weggeknapste Geld in seiner Umgebung angelegt sehen; Zuwanderer haben sich hinten anzustellen— und das gilt nicht nur für Asiaten oder Afrikaner, sondern auch und besonders für die Leute aus dem eigenen „Mezzogiorno“, dem ärmeren Süden des italienischen Stiefels.
Bisher scheiterten alle Gegenstrategien der Sozialisten: Wie sich herausstellte, wählten viele die „Ligen“ trotz deren in der Tat oft furchterregender Fremdenfeindlichkeit, weil man sich bei den Newcomern besser aufgehoben fühlte als bei den für korrupt gehaltenen Altparteien.
Also schalteten die Sozialisten um: Schon 1990 paukten sie ein Diskriminierungsgesetz für Zuwanderer durch, lombardische Regionalfürsten der Partei schwenkten um auf „Ligen“-Kurs und forderten eine zumindest partielle Auflösung des Zentralstaates. Alles umsonst: Die Sozialisten verloren in Oberitalien nahezu alle ehemaligen Hochburgen.
Will die Partei nun im Norden bei ihrem verlorenen Volk wieder landen, muß sie den lokalchauvinistischen „Liga“-Kurs fahren; doch gleichzeitig hat sie ja nunmehr ihr eigenes Wählerreservoir fast nur noch im „Mezzogiorno“. Ein schwieriger Spagat, über den Bettino Craxi, bisher für unantastbar gehalten, beim nächsten Parteitag im Herbst durchaus stürzen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen