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Der unberühmte Gazza

■ Fußball-Abgott Paul Gascoigne scheiterte am Gesetz PRESS—SCHLAG

Seit seinen dynamischen Auftritten bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Italien ist Paul Gascoigne ein berühmter Mann. Dort war Britanniens klobiger Mittelfeldbrecher nicht nur durch die erstaunliche Fähigkeit aufgefallen, unermüdlich auf seine Gegenspieler einquatschen zu können — den Niederländer Ruud Gullit nannte er ausdauernd einen langhaarigen Gorilla — sondern vor allem durch sein herzzereißendes Heulen nach dem verlorenen Halbfinal-Elfmeterschießen gegen die Bundesrepublik.

Seine Tränenströme hätten im Stadion von Turin selbst die Tauberbischofsheimer Fechterinnen — wären diese zufällig anwesend gewesen — wie ausgetrocknete Flüsse wirken lassen und wurden anschliessend auf unzähligen T-Shirts verewigt.

Ein berühmter Mann eben, dieser „Gazza“, wie ganz England den rüden Burschen liebevoll nennt. Aber nicht berühmt genug, meint ein gewisser Sir Jeremy Harman, seines Zeichens Richter beim High Court in London. Zumindest nicht berühmter als der Herzog von Wellington. Und darauf kam es schließlich an, in jenem Prozeß, der gerade England erschütterte.

Ein Schreiberling namens Robin McGibbon hatte über den 23jährigen Fußballer eine von diesem nicht autorisierte Biographie mit dem einprägsamen Titel „Gazza“ verfaßt. Diesen Titel wollte Gascoigne gern untersagen, da der Name, so Gazza-Anwalt Silverleaf, so berühmt sei, daß der Eindruck enstehen könne, Gascoigne habe die Biographie autorisiert oder gar selbst geschrieben.

„Paul Gascoigne ist ein sehr bekannter Fußballspieler“, begann Mr. Silverleaf seinen als zündend geplanten Vortrag, hatte aber nicht mit einem grandiosen Ignoranten wie Mr. Justice Harman gerechnet, der ihn sofort unterbrach. „Rugby oder Association-Fußball?“, fragte der gute Mann und katapultierte sich damit nach Meinung des „Guardian“ stracks in die „Was ist ein Beatle?“-Kategorie.

„Association-Fußball“, erläuterte der konsternierte Silverleaf und zählte vorsichtshalber erstmal die jüngsten Verdienste Paul Gascoignes um die Tottenham Hotspurs und die Nationalelf auf.

Doch der nächste Hieb des Richters, eines Eton-Zöglings und Ex- Fallschirmjägers, der im Gegensatz zu Gascoigne mitsamt seinen Hobbies (Fischen und Vögel beobachten) im „Who's Who“ steht, kam mit doppelter Wucht.

„Glauben Sie, daß Herr Gascoigne berühmter ist als es der Herzog von Wellington im Jahre 1815 war?“, fragte Harman hinterlistig. „Ich muß sagen, ich denke, das ist möglich“, versuchte der Advokat seine davonschwimmenden Felle zu retten, doch es half alles nichts. Niemand, donnerte der Richter, sei damals auf die Idee gekommen, daß der „Eiserne Herzog“, der bekanntermaßen einen tiefen Groll auf ungebetene Biographen hegte, das Recht hätte, gegen sie vorzugehen. „Die Zeiten haben sich geändert, my lord“, sprach ein resignierender Mr. Silverleaf. „Das Gesetz glücklicherweise nicht“, bellte der unbeugsame Sir Jeremy Harman zurück. Matti

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