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Der späte Streit um die Berliner MauerDer See, die Stadt, ihre Bürger und deren Wege

Am Potsdamer Griebnitzsee streiten wohlhabende Bürger mit der nicht so wohlhabenden Stadt um einen Uferweg in ihren Gärten, der einst zum Mauerstreifen gehörte.

Am Ufer steht der alte Architekt und flucht. Es wird langsam dunkel. Ein Boot rudert vorbei. Die Bäume am See haben feuerfarbene Blätter. Über den Uferweg laufen Paare, Mütter mit Kinderwagen, ein Mann mit Hund. Der Architekt geht hin und her, unter den Füßen knirscht der Weg, seine weißgrauen Locken wippen ganz leicht, er hebt den Finger, die Faust, zum Hang. Da oben stehen die Villen.

Einige, die dort wohnen, wollen diesen schönen Uferweg weghaben, der vorbeiführt an Weiden, am tiefgrünen Wasser des Griebnitzsees. Diesen Weg, auf dem seit der Wende die Potsdamer Bürger spazieren, seit im See keine Mauer mehr steht, die Westberlin von Ostpotsdam trennt, seit auf dem Weg keine DDR-Soldaten mehr marschieren. Und diese Menschen da oben, diese reichen Anwälte und Unternehmer glauben, dass sie den Weg wegprozessieren können. "Die haben so viel Geld, dass sie dauernd die Gerichte beschäftigen", schimpft der alte Architekt. Und wenn ihnen die Gerichte nicht Recht geben, nehmen sie sich das eben.

So wie neulich, als sie den Weg einfach abgesperrt haben. An mehreren Stellen standen Arbeiter einer Baufirma vor rot-weißem Flatterband, die sagten, sie seien Wachleute. "Schlägertypen", flucht der Architekt, die haben ihn und andere nicht vorbeigelassen, wollten Personalausweise sehen. Gegen die Typen ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft. Haben behauptet, dass der Architekt über ein Privatgrundstück laufen würde, wenn er den Weg betritt. Diesen Weg, auf dem er jeden Abend am See entlangläuft. Es ist auch klar, sagt er, warum die den Weg weghaben wollen. Ohne Weg stünden ihre Villen auf Seegrundstücken. Die wären wesentlich mehr wert.

Diese Leute wollen den Blick für sich allein haben. Sie prozessieren herum, pflegen ihre Gärten direkt am Seeufer besonders liebevoll, damit jeder denkt, dass er in fremdes Gelände eindringt. Manchmal legen sie Steine auf den Weg und stellen ihre Sprenkelanlagen so ein, dass Spaziergänger ganz nass werden. Sie sorgen dafür, dass plötzlich neue Grenzen verlaufen, wo eine alte eingerissen wurde. Reich, arm. Oben, unten.

Vor ein paar Jahren haben die da oben sogar mal versucht, den Weg wegzureißen mit Baggern. Der Potsdamer Oberbürgermeister hat alles sofort wieder zuschütten lassen. Diesmal hat ein Gericht nach der Absperraktion entschieden, dass der Weg erst einmal ein öffentlicher Weg bleiben muss, weil er im Augenblick eben einer ist, weil er seit Jahren so genutzt wird. Was aber grundsätzlich nicht bedeuten muss, dass der Weg wirklich ein öffentlicher Weg ist.

Am heutigen Mittwoch nun werden die Potsdamer Stadtverordneten siebzehn Jahre nach der Vereinigung einen Bebauungsplan beschließen, der den Weg ganz offiziell als öffentlichen "Fußweg mit eingeschränktem Radverkehr" definiert. Der Weg wird weiterhin durch die privaten Gärten vieler Villenbesitzer verlaufen. Deshalb sollen diese der Stadt Potsdam im Grundbuch das Recht für den Weg übertragen. Die Besitzer dürfen ihn dafür ein Stück näher ans Wasser verlegen. So werden die Rasenflächen zwischen Villa und Weg, die meist eingezäunt sind, größer - die zwischen Weg und Ufer kleiner.

Dieser Plan setzt voraus, dass die Besitzer mitmachen, dass die Stadt mit "mildesten Maßnahmen" auskommt, wie der Bürgermeister Burkhard Exner hofft, und nicht enteignen muss und entschädigen. Er hält diesen Bebauungsplan für einen "ausgeklügelten Kompromiss". Die meisten der Seeanwohner würden kooperieren, sagt Exner. "Dass ein kleiner Teil nicht zufrieden ist, liegt vielleicht auch an dem Forderungskatalog, den die haben." Es liegt andererseits vielleicht auch daran, dass die Sache etwas komplizierter ist, als die Stadt sie gern hätte und als sie für den alten Architekten und für all die Spaziergänger wirkt. Von unten, vom Weg, von heute aus betrachtet.

Es waren nämlich einmal einige wohlhabende Potsdamer Bürger, die 2002 eine Initiative mit Namen "Historische Uferregion Griebnitzsee" gründeten. Sie wohnten in den Villen am See. Die wohlhabenden Bürger waren nach der Wende zu den Grundstücken am See bekommen, weil ihre Vorfahren von den Nazis oder der DDR enteignet worden waren oder weil sie Enteigneten die Rechte abgekauft hatten. Damals schon liefen Leute unten am Fuß des Hügels durch ihre Gärten, obwohl in den Grundbüchern nichts von einem öffentlichen Weg vermerkt war. Aber die wohlhabenden Bürger waren fast alle damit einverstanden, dass die Spaziergänger den schönen See sahen. Sie schlugen der Stadt, die bekanntermaßen nicht allzu viel Geld hat, vor, dass sie auch die Flächen direkt am See kaufen könnten - vom Bund, dem diese ehemaligen Grenzanlagen gehörten. Die Spaziergänger sollten ruhig weiterhin spazieren gehen, sie, die wohlhabenden Bürger, würden den Blick zum Seeufer freischlagen, ein paar Bäume entfernen, den Uferstreifen pflegen. Sie würden alles auch gerne bezahlen. Nur ein paar Bedingungen: Sie würden sich einige Uferflächen einzäunen, andere für die Spaziergänger herrichten. Außerdem: keine Fahrräder, und nachts ist der Weg gesperrt.

Der Potsdamer Oberbürgermeister ging mit den Leuten von der Initiative am See spazieren, es gab vorsichtige Verhandlungen. Aber im Grunde war die Stadt Potsdam immer der Meinung, dass ihr die Uferflächen ohnehin gehören, weil sie beim Bund ein Vorkaufsrecht hat. Es wurde also ein bisschen herumverhandelt, und parallel dazu hat Potsdam sich von Gericht zu Gericht geklagt, um dieses Vorkaufsrecht bestätigt zu bekommen, womit man ohnehin auf die spendablen, wohlhabenden Bürger nicht mehr angewiesen gewesen wäre. Die meisten Gerichte allerdings wollten Potsdam partout nicht Recht geben. Stattdessen gelang es einigen Anwohnern tatsächlich, Uferflächen vom Bund zu kaufen. Die Stadt erließ daraufhin eine Veränderungssperre, die den wohlhabenden Bürgern verbot, in ihren Gärten etwas zu bauen - beispielsweise Zäune quer über den Weg. Schließlich stritt man gerichtlich darum, ob die Anwohner Rasen mähen dürfen oder nicht. Es ging um die Deutungshoheit über ein Stück Land. Zwischenzeitlich wirkte die Stadt Potsdam in den Zeitungen wie ein uneinsichtiger Verlierer, der trotzig immer weiter klagt.

Irgendwann aber, nach etlichen Urteilen, Eilverfahren und einstweiligen Verfügungen verliefen die Fronten nicht mehr nur zwischen Potsdam und den wohlhabenden Bürgern. Kleine Gräben taten sich auch in der "Initiative Historischer Uferregion Griebnitzsee" auf - und in der SPD-Fraktion im Rathaus. Am See nämlich wohnt auch Wolfhard Kirsch, Bauunternehmer und Stadtverordneter der Sozialdemokraten, dem die Genossen vorwarfen, dass er in der Sache nicht die Interessen Potsdams, sondern seine eigenen vertrete. Kirsch war zeitweise stellvertretender Vorsitzender der "Initiative Historische Uferregion". Manche sagen, das hat dem Oberbürgermeister nicht gepasst. Jedenfalls wollten sie Kirsch aus der SPD-Fraktion schmeißen, aber als abgestimmt wurde, gab es keine Zweidrittelmehrheit. Heute wird Kirsch den Raum verlassen, wenn das Parlament über den Bebauungsplan abstimmt.

Mittlerweile haben manche der wohlhabenden Bürger den Weg nach vorne an den See verlegt. Sie haben Potsdam das Recht dafür übertragen und sich mit hohen Zäunen und wuchtigen Betonmauern abgeschirmt. Andere Mitglieder der "Initiative Historische Uferregion Griebnitzsee" hielten an den alten Zielen fest, fühlten sich verraten und stiegen aus. Außerdem formierte sich Protest aus der zweiten Reihe. Ein Potsdamer, der nicht direkt am See wohnt, gründete den Verein "Griebnitzsee für alle" und fordert mit der Stadt, dass der Weg ein Weg bleibt. Seltsamerweise hat dieser Potsdamer, als es seine Initiative schon gab, auch versucht, Flächen direkt am See zu kaufen. Es flog auf, und er sprach dann von plötzlichem "Privatisierungsfieber" und "einem Fehler". Es geht eben alles ein bisschen durcheinander in diesem Uferwegstreit.

Dabei ist das im Grunde ganz einfach, sagt Anwalt Kay Jacobsen: Die Stadt Potsdam möchte etwas haben, das ihr nicht gehört (die Flächen am See), um dort etwas zu erhalten, was es formaljuristisch betrachtet vielleicht noch gar nicht gibt (den Weg). Wenn sie das möchte, dann soll sie das bitte schön beschließen (was sie heute erst tut) und anschließend die Leute enteignen, die ihr die Flächen nicht freiwillig überlassen möchten (weil sie beleidigt sind).

Jacobsen selbst ist einer von denen. Auch er wollte sich früher, mit ein paar Auflagen, großzügig geben. Jetzt gehört er zu der Handvoll Villenbesitzer, die den Weg kürzlich haben sperren lassen. Jacobsen erläutert das mit sehr ruhiger und tiefer Stimme bei edlem Wein und Lachshäppchen in einem Hotel am See. Neben ihm sitzt der Pressesprecher.

Mit dieser zunächst einmal rechtswidrigen Absperraktion wollten sie für den Rechtsstaat protestieren. Das Problem ist nun nur, dass das eine etwas grobe Maßnahme war, um diese differenzierte Ansicht zu transportieren. Die Botschaft hat prompt auch kaum jemand verstanden, obwohl die Besitzer vorher extra die PR-Agentur angestellt hatten. In den Zeitungsberichten waren sie trotzdem die rechtsfernen Rambos. Und unten stehen jetzt Leute wie der Architekt und sagen, dass sie das Volk sind und das ihr Weg.

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