Der sonntaz-Streit: Ist die deutsche Literatur zu brav?
Rechtzeitig vor der Buchmesse in Leipzig stieß ein Essay in der „Zeit“ eine Debatte über die deutsche Literatur an. Ist sie wirklich so langweilig?
Florian Kessler ist gelangweilt. Vom deutschen Literaturbetrieb – und ein wenig von sich selbst. Ende Januar veröffentlichte der junge Autor und Literaturkritiker einen Essay in der Wochenzeitung Zeit, in dem er seinen KollegInnen vorwarf, brav und konformistisch zu sein. Mit seinem Artikel stieß er eine Debatte an, die seitdem in den Feuilletons der großen deutschen Tageszeitungen geführt wird.
Kessler, der Sohn eines Neurologieprofessors und einer Gymnasiallehrerin, hat an der Uni Heidelberg Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studiert, die meisten seiner KommilitonInnen dort waren ebenfalls Ärzte- und Lehrerkinder. Die neue Autorengeneration stamme fast ausschließlich aus demselben bildungsbürgerlichen Mileu, kritisiert Kessler.
Statt einen eigenen Stil zu entwickeln, lernten sie alle an denselben Literaturinstituten bei denselben DozentInnen. Was dabei herauskomme, seien ein konformistischer Einheitsbrei und junge Autoren, die lieber über den Literaturbetrieb schrieben, als nachts über eigenen Texten zu brüten.
In einer Replik hielt ihm die Jungautorin Nora Bossong Borniertheit vor. Schließlich versinnbildliche er genau den Autorentypus, den er selbst kritisiere – einen jungen Menschen, „der lieber über den Betrieb redet, als sich relevanteren Themen zuzuwenden, und der nur sein unmittelbares Umfeld wahrnimmt, ohne nach links oder rechts zu schauen“.
„Süße, naive Gastarbeitergeschichten“
Auch der Autor Maxim Biller findet die deutsche Literatur „unglaublich langweilig“, ihm fehlen die „lebendigen literarischen Stimmen“ von MigrantInnen. Er schreibt in einem Essay, dass sich selbst AutorInnen mit ausländischer Herkunft der in Deutschland „herrschenden Ästhetik und Themenwahl anpassen“. Texte, in denen das Fremde thematisiert werde, seien meist „süße, naive Gastarbeitergeschichten“.
Der Literaturkritiker Ijoma Mangold warf Biller im Gegenzug positive Diskriminierung vor, weil er die AutorInnen nur auf ihre Herkunft reduziere. In der Zeit schrieb Mangold: „Der Autor mit Migrationshintergrund ist nämlich nicht mehr frei, den Stoff aufzugreifen, der seinen Formvorstellungen den größten Spielraum eröffnet, stattdessen ist seine Herkunft sein literarisches Schicksal!“
Was ist also los mit der deutschen Literatur? Haben deutsche AutorInnen keine spannenden und außergewöhnlichen Geschichten zu erzählen? Fehlt es an kultureller Vielfalt? Ist die deutsche Literatur zu brav?
Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der sonntaz vom 15./16. März 2014. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Schicken Sie gerne bis Mittwoch, 12. Februar, eine Mail an: streit@taz.de
Leser*innenkommentare
Niedra
Gedruckt wird das, was sich verkaufen lässt. So wie Waschmittel oder Käsesorten. Oder die Einschaltquoten im TV. Wahrscheinlich liegt die literarische Qualität in den Schubladen guter Autoren.
...eine Frechheit!- von der Kunst zu verlangen, sie habe sich dem Nie-wo des Volkes anzupassen. Arno Schmidt
Lowandorder
"...Rechtzeitig vor der Buchmesse in Leipzig stieß ein Essay in der „Zeit“ eine Debatte über die deutsche Literatur an. Ist sie wirklich so langweilig?..."
Die Zeit -
aber ja - stinklangweilig
jedenfalls
für Leser von Zeitungen,
die noch mit J.M.M.
sozialisiert sind
und sich spätestens mit
"..Helmut du wirst dich
nicht erinnern.."
wonnabe-a-writer Theo Sommer
und endgültig mit der
Gräfin Odenwald
von dieser
Fisch-einwickel-Gazette
verabschiedet haben;-))
wenn Sie aber Literatur meinen -
so deutsche halt -
hat die sich von
".. ist die Gruppe 47
noch ganz dicht?.."
" ist denn das
Volk der Reimerchen
seit Gottfried Benn
im Eimerchen..."
(Wolfgang Neuss)
nicht erkennbar erholt;
was schon daraus erhellt,
daß die beiden letzten
Büchner-Preisträger
Mosenbacher und Halbwesen
heißen.
Uwe Heldt
Gast
Hat soviel Magnetismus wie das Wort Oberschale.
Marie Heilmann
Gast
Ich habe vor einiger Zeit einen sehr kurzen Roman von Nora Bossong gelesen. Ich kann nichts schlechtes sagen - aber auch nicht, was ihn unter dutzenden anderen Jungschriftstellerromanen
heraushebt, die teilweise noch nicht einmal verlegt werden.
Für mich stellt sich dann die Frage: warum wird gerade dieses Buch gleich in einem renommierten Verlag gedruckt (obwohl es sich kaum verkauft) und kriegt gleich in allen großen Tageszeitungen Kritiken?
Marie Heilmann
Gast
@Marie Heilmann Ich habe gerade gesehen, dass es einen neuen Roman von ihr gibt. Die objektiven Kommentare, also die bei amazon ohne 5 Sterne und nicht die des freundschaftlich verklüngelten bürgerlichen Feuilletons bestätigen meinem Eindruck: nicht schlecht, aber auch nicht besser als viele junge Romane, die in Kleinverlagen erscheinen.
Flo Anderson
Gast
@Marie Heilmann Das wird so gehen: der Verleger des Frankfurter Verlags kennt den Literaturchef der FAZ, FR, Zeit, Süddeutsche persönlich und bittet ihn, eine Kritik zu schreiben.
wolfgang gronau
Gast
@Flo Anderson Das nennt man aber - in übertragenem Sinn - Korruption.
Tadeusz Kantor
Nein, zu schlecht!
Traum A.
Gast
@Tadeusz Kantor Das entscheidet der Markt.