: Der schiefe Blick der Besserossis
betr.: „Der blaue Blick der Gerechten“, Das Schlagloch von Kerstin Decker, taz vom 9. 4. 08
Von der DDR sind vor allem die Menschen geblieben. Manche hatten sich als Studenten von der Stasi anwerben lassen, andere hatten am „Roten Kloster“ in Leipzig Journalistik studiert oder marxistisch-leninistische Philosophie. Mancher „war gewissermaßen ein geborener Mitarbeiter“ der Stasi. Wer kann schon etwas für seine Herkunft? Und überhaupt könne eigentlich nur Auskunft geben, wer dabei gewesen ist. Das ist der schiefe Blick der Besserossis.
Die Besserossis verbindet, dass sie von anderen nicht mehr an ihre „unangenehme Rolle“ im vergangenen DDR-Staat erinnert werden wollen, obwohl sie heute gönnerhaft ein „Recht auf Intoleranz“ durchaus zu akzeptieren bereit sind. Sie stellen fest, der Staat habe Huldigung verlangt, Mitgliedschaften in FDJ, Partei, Verpflichtung zu längerem Armeedienst. Und tatsächlich: Diesem Verlangen hat sich gebeugt, wer unbedingt etwas werden wollte. So sitzen die gelernten Gesellschaftswissenschaftler, Ex-Parteimitglieder und vormaligen Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS wieder in den Redaktionsstuben der Zeitungen und Funkhäuser, in Unternehmen und Parlamenten. Denn die berufliche Ausbildung, die man als Dank für Bekenntnisse zum Sozialismus oder Spitzeldienste für die Stasi absolvieren durfte, war nicht schlecht. Gelegentlich überkommt sie so etwas wie Scham: Da sind welche auf der Strecke geblieben, haben kein Abitur machen, nicht studieren dürfen, weil sie die „falschen“ Eltern hatten oder den Wehrdienst verweigerten und ins Gefängnis kamen. Dieser Scham entwächst das Bedürfnis nach Entschuldung. Die Untersuchungsgefangene der Stasi, die sich in ihren Vernehmungsoffizier verliebt und ihn später heiratet, ist das perverse Wunschbild dieser Leute.
Glücklicherweise ist von der DDR auch Papier geblieben. Die Stasiakten und übrigens ebenso die SED-Akten im Bundesarchiv können Auskunft darüber geben, wer sich in das DDR-System hat verstricken lassen. Aus den Unterlagen kann man aber auch erfahren – und das ist viel bedeutsamer –, wer den Werbungen der Stasi widerstanden, sich nicht als Knecht an die Diktatur verkauft hat und wer Nachteile bis hin zu Misshandlungen erleiden musste.
JENS PLANER-FRIEDRICH, Berlin