: Der sanfte Rebell
■ Der Hamburger Regisseur Nicolas Stemann über Anpassung, Jugend, Rebellion und sein neues Stück Verschwörung auf Kampnagel
Er ist Hamburger Theatergängern bislang vor allem durch seine Produktionen TerrorTrilogie und Zombie 45 – am Baß Adolf Hitler ein Begriff. Gerade steht Nicolas Stemann, Mitbegründer des Theaterfestivals „Die Wüste lebt!“, an der Schwelle zwischen freier Theaterarbeit und den Staatstheatern.
taz: Bei der „TerrorTrilogie“ ging es um Rebellion, in „Verschwörung“ beschäftigen Sie sich mit dem Leben im postideologischen Zeitalter. Ist das nun die Fortsetzung?
Nicolas Stemann: Gewissermaßen. Während wir in der TerrorTrilogie die Frage gestellt haben: „Wie geht Jung-sein ohne Rebellion?“, fragen wir jetzt mit ironischem Augenzwinkern: „Wie geht Älterwerden ohne Ideologie?“. Das hat auch Bezug zu meiner eigenen Situation: Ich bin jetzt 30 geworden, wir stehen kurz vor dem Jahr 2000. Zu so einem Zeitpunkt überlegt man, in welche Richtung es eigentlich weitergeht. Rebellion ist da nicht mehr so interessant, weil der Generationskonflikt für mich jetzt mehr oder weniger ausgestanden ist.
Sie bauen also auch Elemente aus Ihrem aktuellen Umfeld in die Inszenierung ein?
Ja, genau. Work in progress bedeutet für mich, daß ich als Regisseur zwar mit einer bestimmten Idee zu den Proben komme. Was ich mir da am Schreibtisch ausgedacht habe, ist auf der Bühne erstmal langweilig. Die Impulse der Leute, die am Probenprozeß beteiligt sind, modifizieren die ursprünglichen Ideen, was ich interessanter finde. So wie ich versuche, das, was bei den Schauspielern als Personen schon vorhanden ist, in die Figuren zu verlängern, nehme ich auch gerne den äußeren Rahmen, in dem alles stattfindet, und die aktuelle Gegenwart in die Inszenierung mit hinein.
Wie sieht das konkret aus?
„Verschwörung“ basiert ja unter anderem auch auf dem Roman Maschinenfabrik N & K von Willy Bredel, einem Arbeiterschriftsteller, der in den 20er Jahren in der Maschinenfabrik Nagel und Kamp gearbeitet hat. Er beschreibt in dem Buch eine kommunistische Arbeiterverschwörung gegen die Betriebsleitung, die hier auf Kampnagel stattfand. Das brachte uns auf die Idee, die frühere Realität dieses Raumes als Fabrikhalle seiner heutigen Realität als Theater gegenüberzustellen. Wir spielen also deutsche Klassik in einer Fabrik. Ausgehend davon entwickeln wir eine Geschichte, die mit der Suche nach Utopien und mit Orientierungslosigkeit zu tun hat.
Hat „Verschwörung“ dann auch mit der aktuellen politischen Orientierungslosigkeit nach dem rot-grünen Regierungswechsel zu tun?
Es hat viel damit zu tun, obwohl wir es so direkt nicht aussprechen. Ausgangspunkt des Stückes war, daß ich momentan das Gefühl habe, an einer Schwelle zu stehen: Ich habe bis jetzt freies Theater gemacht und jetzt werde ich an die größeren Häuser gehen. Jetzt kommen auf einmal so viele Dinge ins Spiel, die sehr wenig mit der eigentlichen Arbeit zu tun haben. Im letzten Jahr habe ich zum Beispiel mehr verhandelt als inszeniert. Das ist so eine Situation, in der man merkt, daß man auf einmal in bestimmten Institutionen drin ist, die man eigentlich nie toll fand. Man dachte immer, man sei stärker als diese Institutionen und auf einmal sieht man: „He, die Institutionen machen ja was mit mir!“
Ist Ihr Theater politisch?
Mein Theater beschäftigt sich in erster Linie mit Menschen und ihren Gefühlen. Unser Privatleben ist zwar von Politik geprägt und bestimmt, doch die Politik bleibt uns dabei immer merkwürdig fern. Diese Differenz betone ich auch in „Verschwörung“.
Ihre Inszenierung beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Anpassung contra Idealismus. Wie sehen Sie in diesem Kontext Ihre eigene Situation?
Momentan bin ich an einem Punkt, an dem ich merke, daß ich Gefahr laufen könnte, mich anzupassen. Ich spüre den Druck der Erwartungen, die man in mich setzt. Man kommt da schnell an einen Punkt, wo man merkt, daß man seine Arbeit nicht mehr für sich macht, sondern für andere. Und das ist für die künstlerische Arbeit sehr gefährlich. Gerade im Theater ist man vom Publikum und von den Meinungen anderer abhängig. Ich kann mich ja nicht damit trösten, erst entdeckt zu werden, wenn ich schon tot bin. Interview: Kristina Maroldt
Premiere: Sa, 24. April, 19.30 Uhr, Kampnagel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen