■ Der „rote Dandy“ über die lustfeindlichen EU-Gegner: Die EU-Euter locken nicht mehr
Über Daniel Cohn-Bendit ist alles Ultimative schon geschrieben worden. Selbst die letzte Oma Deutschlands kann mit seinem Namen etwas verbinden. Und wenn's nur die APO-Zeiten sind, die die Jugend von heute versaut haben. Der Frankfurter Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten strebt jetzt gen Westen: in Richtung Straßburg. Die Grünen/Bündnis 90 haben ihn auf ihrem letzten Parteitag zu einem ihrer Kandidaten für ein Mandat im Europäischen Parlament gekürt. Als achter auf der Liste hat er sehr gute Chancen, 1994 in das Hohe Haus mit Krüppelbefugnissen einzuziehen. Greisende Politiker oder solche, die kaltgestellt oder recycelt werden sollen, werden von den Parteien nach Straßburg entsorgt. Cohn-Bendit will freiwillig dahin, um den „Schlafmützen im EP auf die Füße zu treten“.
taz: Das Superwahljahr 1994 naht, da kann CSU-Scharfmacher Stoiber („Rindfleischgemeinschaft“) mit Europa nichts mehr anfangen. Scharfdenker Kohl will Europa trotzdem, weil er einen Ruf zu verlieren hat, und die scharfschießenden Grünen/Bündnis 90 stützen sich auf Europa als Alternative zum Nationalismus in Deutschland. Sie, Herr Cohn-Bendit, wollen in ein Gremium gewählt werden, das faktisch machtlos ist: das Europa-Parlament (EP). Und die Bauern lieben Europa, wenn sie ihre Schweine verkaufen dürfen. „Europa“ – ein Wort für alle Fälle?
Daniel Cohn-Bendit: Für fast alle. Warum wundert es Sie, daß ich Mitglied dieses Gremiums werden will? Es ist doch das Superscharfe an dem Europa-Parlament, daß man viel machen kann, aber wenig muß, weil die Bedingungen so floating sind. In unserer heutigen Situation, wo die Vernebelung, die politische Unübersichtlichkeit, so groß ist, sind derart mythische Begriffe wie Europa im ständigen Wandel begriffen. Europa ja – Nationalismus nein, oder bayerische Ehre ja – europäische Lust nein und so weiter, sind einerseits Dinge, die den Wahlkampf würzen, andererseits Schlagworte, die auf einem unsäglich niedrigem Niveau stehenbleiben. Zu den Leuten, die sich in diesen oft gekünstelten europäischen Auseinandersetzungen giftig zu Wort melden werden, wird sich natürlich noch der Oberloser und Oberabzocker Schönhuber gesellen. Der „Republikaner“-Chef holt seine Diäten in Brüssel ab und ist ansonsten nie da. Pure Geldbörsen- Politik ist das. Europa ist die Suppe, die keiner auslöffeln will, aus der aber alle schlecken wollen; ob sie „für“ oder „gegen“ die europäische Einigung sind, spielt nur eine unwesentliche Rolle. Bei dieser scheinheiligen Diskussion muß jemand wie ich doch dabeisein!
Habe ich da eben richtig verstanden: Wer gegen Europa ist, ist also lustfeindlich?
Ja, das auf alle Fälle. Schauen Sie sich doch diejenigen, die gegen Europa argumentieren, an! Strahlt Stoiber etwa Erotik aus? Die Europa-Gegner suggerieren, daß in Bayern oder Hessen oder Schleswig- Holstein das Gebräu besser hinhaut. Diese Soße ist mir zu fad; sie ist eindimensional und monokulturell. Europa-Gegner sind out und gehören mit ihren nationalistischen Selbstverständlichkeiten auf den Müllhaufen der Geschichte.
Ist der größte Fehler der Eurokraten, bei der Vermittlung europäischen Bewußtseins zuwenig Wert auf die erotische Ausstrahlung der EU gelegt zu haben?
Nicht im Sinne der Förderung der mit Sex-Läden dünnbesiedelten Regionen der Gemeinschaft. Wohl aber ist der große Fehler der Eurodekorierten, das europäische Bewußtsein fast ausschließlich auf der Grundlage von primitiven Tauschmentalitäten vermittelt zu haben. Nach dem Motto: Ich verkaufe dir einen Mercedes, du nimmst mir einen Renault ab. Dafür kriegst du einen Siemens, dafür habe ich einen Olivetti. Und wenn es so weitergeht, bekommst du italienische Schuhe und ich einen französischen Schal oder deutsche Schweine. So wird Europa auf unmittelbare Banalität der Sinne reduziert. Im Grunde aber macht Europa eine ständige kulturelle Auseinandersetzung spannend, die einem nie einer richtig beigebracht hat. Ich finde schon, daß man Herrn Stoiber zum Beispiel anraten sollte, den schwulen Schriftsteller Guibert zu lesen, oder Herrn Heitmann, sich Simone de Beauvoir zu Gemüte zu führen. Da würde, glaube ich, Europa geradezu sprengend für viele Köpfe wirken!
Helmut Kohl wünscht sich ein stärkeres Europa, kann aber außer deutsch nur pfälzisch. Ist er glaubwürdig? Welche europäische Amtssprache bevorzugen Sie?
Mir ist es eigentlich ziemlich wurscht. Französisch als Amtssprache finde ich ganz in Ordnung. Andere Alternativen, Italienisch, Englisch, Spanisch, vielleicht auch Deutsch sind genauso begrüßenswert. Die Politiker der nächsten Generation werden mehrere Sprachen beherrschen, dessen bin ich mir sicher. Ich kann mich an eine Rede im Europäischen Parlament erinnern, da hat der linksradikale italienische Abgeordnete Camapana von Anfang bis Ende auf Latein gesprochen, und der liberal- konservative Otto von Habsburg hat ihm aus dem Stegreif in derselben Sprache geantwortet. Eine schöne europäische Geschichte!
Wenn Sie Kanzler der europäischen Einheit wären, welches Thema würden Sie zuerst aussitzen?
Wenn ich Kanzler der europäischen Einheit wäre, würde ich zuerst die Frage der Verfassung der Staatsangehörigkeit ändern und die allgemeinen Bürgerrechte für alle in Europa lebenden Menschen durchsetzen. Was ich aussitzen würde, wären Versuche weiterer Privilegierungen der Bauern. Ich würde die Subventionspolitik der EU radikal verändern in Richtung einer Stützung der Landwirte und nicht der Produktion.
Warum interessieren Sie sich eigentlich für einen Sitz auf diesem politischen Abstellgleis?
Weil ich will, daß es anders wird. Ich finde, daß man sich von dieser Weglobmentalität in der deutschen Europa-Politik verabschieden muß. Daher ist es gut, daß die Grünen erstmals einen Kampf um Kandidaten für Europa ausgetragen haben. Damit haben wir gezeigt, daß es uns in der Europa-Politik um Inhalte geht. Für die Grünen/Bündnis 90 war dies eine richtige Wende! Herr Kohl, merken Sie was?
Der große „kollektive Freizeitpark“ Deutschland ist längst nicht nur geflügeltes Wort, sondern Realität. Jedenfalls für manche. Wie sehr könnte hier Deutschland beispielgebend sein? Könnte es zur Attraktion für ein Mega-Disneyland Europa beitragen?
Der „kollektive Freizeitpark“ ist überall, selbst im Umfeld des Kanzlers. König von Deutschland kann mann im übrigen nicht ewig bleiben. Mich wundert, ehrlich gesagt, daß dem ach so gewieften Helmut Kohl so ein entlarvender Versprecher ausgerutscht ist. Denn er hatte immer eine gewisse Sensibilität für die Dinge, die man den Leuten sagen kann oder nicht. Die scheint er verloren zu haben. Mit Heitmann hat er sie eingebüßt, ihm ist sie entschwunden mit dieser beleidigenden Parole vom Freizeitpark für die große Zahl von Arbeitslosen, die er mit seiner fatalen Wirtschaftspolitik mitverursacht hat. Ich kann darin nur ein Signal für das Ende einer Epoche im Zeichen des Saumagens sehen. Deutschland könnte zum Vorbild in Europa werden, jetzt wo die Viertagewoche eingeführt wurde. Das könnte einschlagen wie eine Bombe, trotz Kohl
Wie steht es mit Ihrer Europa- Tauglichkeit?
Wenn ich ins Europa-Parlament einziehe, wird es mit den Voraussetzungen, die ich habe, wahrscheinlich kurz vor dem Tod gelingen, dieses Europa als Ganzes verstanden zu haben. Ich bin europa- tauglich mit beschränkter Haftung. Interview: Franco Foraci
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