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Archiv-Artikel

Der rechte Rand Braunschweig marschiert wie vor 70 Jahren

Wegschauen geht nicht: 25 Prozent mehr Neonazis haben die Verfassungsschützer im vergangenen Jahr gezählt. Für die taz nord beobachtet Andreas Speit den rechten Rand. Kontinuierlich.

Die Einsatzleitung der Polizei in Braunschweig setzte ein Zeichen: freie Straßen für die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD). Solange die älteste neonazistische Partei der Bundesrepublik nicht verboten ist, kann auch sie das Versammlungsrecht für sich beanspruchen. Weil das Bundesinnenministerium gegenüber dem Bundesverfassungsgericht die Einflussgrenzen ihrer verdeckten Ermittler nicht aufzeigte, scheiterte das Verbotsverfahren. Und: Die Polizei muss NPD-Aufmärsche begleiten. Doch die Einsatzleitungen haben vor Ort Handlungsspielräume. So auch am Samstag in Braunschweig.

An die 300 Neonazis waren dem Aufruf der NPD und der „Freien Kameradschaften“ (FK) „Sozialabbau, Rentenklau, Korruption – nicht mit uns!“ gefolgt. Aber kaum hatten sie vom Hauptbahnhof aus einen zentralen Platz an der Innenstadt erreicht, saßen sie fest. Über 1.500 Demonstranten versperrten ihnen alle Wege, außer dem zurück. Die Parteien im Stadtrat und ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Antifagruppen, sozial- und bildungspolitischen Initiativen hatte empfohlen „mit eigenen Aktionen deutlich zu machen, dass Braunschweig kein Platz für Nazis ist“, wie es in der Ratsresolution steht. Bei der Gegenkundgebung betonten der Erste IG-Metall-Bevollmächtigte Detlef Kunkel und der Faschismusforscher Reinhard Kühnl, dass das Verhalten der „gesellschaftlichen Mitte“ die Chance der Neonazis bestimme. Nach einer einstündigen friedlichen Blockierung der Naziroute entschied jedoch die Polizeiführung, den Marsch der Nazis durchzusetzen. Unter massivem Schlagstockeinsatz brach die Polizei, die mit 3.000 Beamten vor Ort war, eine Blockade auf. Fast sieben Stunden lang zogen die Rechten durch die Innenstadt.

Mehrmals lösten die Beamten weitere Blockaden mittels Wasserwerfern, Reiterstaffeln und Schlagstöcken auf. Längst flogen auch Steine und Flaschen. „Haut ab“, riefen Gegendemonstranten, als die Polizei sie „räumte“. Einige brüllten die Beamten an: „Warum?“ „Ach Scheiße“, meinte ein Polizist, „wieder heißt es, deutsche Polizisten schützen die Faschisten“. 80 Personen nahm die Polizei in Gewahrsam. Offiziell wurden 13 Protestierende verletzt.

Die politische Atmosphäre in der Stadt Heinrichs des Löwen hätte wie vor zwei Jahren allerdings auch eine andere polizeiliche Taktik getragen.

Im Oktober 2004 wies die Polizei den Marsch von fast 200 NPD- und FK-Anhängern wegen des breiten Protests zur Umkehr an. Verärgert folgten sie der Anordnung. Erfreut erklärte nun als Abschlussredner der Hildesheimer FK-Kader Dieter Riefling: „Wie vor über 70 Jahren marschieren wieder unsere Brüder und Schwestern.“ Nicht die einzige positive Bezugnahme der Neonazis auf den Nationalsozialismus.

Gerade die jüngeren Kader sind selbstbewusster geworden, erklärte ein Sprecher des niedersächsischen Verfassungsschutzes (VS).

Feste rechte Strukturen bestünden in Stade, Verden und Hildesheim. Längst jedoch auch, darf ergänzt werden, in der Region Braunschweig-Salzgitter. Mit eigenem Logo liefen die lokalen Rechten bei dem Marsch mit, führen Kameradschafts- und NPD-Treffen durch, bieten Konzerte an und unterhalten eine Website. Andreas Speit