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■ Der „neue“ Nordirland-Friedensplan schließt Sinn Féin ausMajor, kleinkariert

Immerhin. Es gibt ein Datum für den Beginn der nordirischen Allparteiengespräche. Wer am 10. Juni letztendlich am Tisch sitzen wird, ist jedoch unklar. Die Vorbedingungen, die die IRA-nahe Partei Sinn Féin erfüllen muß, sind ja nicht aus dem Weg geräumt: Ausmusterung der IRA-Waffen und der Nachweis, daß man sie nie wieder benutzen wird. So hat sich Major ein Hintertürchen offengehalten, um Sinn Féin weiterhin vom Runden Tisch fernzuhalten. Von den am Montag beginnenden Vorgesprächen nach Muster der bosnischen Dayton-Verhandlungen ist die Partei ohnehin ausgeschlossen. Dabei geht es dort um die Weichenstellung für die nächsten Monate. Doch Major sitzt das kleinkarierte innenpolitische Hemd weit näher als die nordirische Friedenshose.

Jeder Punkt in der „neuen anglo-irischen Initiative“ hätte bereits vor einem halben Jahr so aussehen können. Aber Major will nur noch möglichst unbeschadet bis zu den Unterhauswahlen im Frühjahr 1997 über die Runden kommen. Wenn der Premierminister dann als Friedensengel dastehen will, muß er genügend Köder für Sinn Féin auslegen, um die IRA von Anschlägen abzuhalten – alles wie gehabt.

Vor drei Wochen ging dieser Drahtseilakt allerdings schief – und wird jetzt nicht einfacher: Stirbt nur noch ein einziger der überalterten Tory-Abgeordneten, ist Majors Unterhausmehrheit dahin, und er hängt vollends von den Unionisten ab. Für ein paar Gegenleistungen werden die ihn aber bis zu den Wahlen über Wasser halten, weil sie der Labour Party mißtrauen. Dazu besteht freilich nicht der geringste Grund. Die „New Labour Party“ des Dauergrinsers Tony Blair hat die Tories in vielen Bereichen längst rechts überholt. Im nordirischen Friedensprozeß hat Labour bisher eine besonders erbärmliche Rolle gespielt. Anstatt Druck auf die Regierung auszuüben, damit sie die Chance auf eine politische Lösung des Konflikts nicht wieder vertändelt, beschränkte sich ihre Oppositionspolitik auf Kopfnicken.

Obendrein hat man sich von den Bürgerrechten verabschiedet. Jahr für Jahr hatte Labour, wenn auch erfolglos, gegen die Verlängerung der drakonischen Sondergesetze gestimmt, die der Polizei in Nordirland im Namen der Terrorismusbekämpfung atemberaubende Vollmachten einräumen. Ausgerechnet jetzt, wo die Chance auf Frieden größer ist denn je, vollzieht man eine Wende: Künftig werde man nicht mehr gegen die Sondergesetze stimmen, hieß es vorgestern.

Tony Blair würde für ein paar Stimmen auch mit Margaret Thatcher ins Bett gehen. Kein Wunder, daß man ihn in Großbritannien inzwischen „Tory Blur“ (verschleierter Tory) nennt. Ralf Sotscheck, Dublin

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