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■ Der neue Berliner Senat wird genausowenig glänzen wie der alte. Aber wer kann in der Hauptstadt schon glänzen?Eine Riege von Bodenturnern

Nirgendwo anders trifft der zugegebenermaßen aristokratische Satz, wonach jedes Volk die Regierung hat, die es verdient, treffender zu als auf Berlin. Das ist durch den neuen Senat, der seit Dienstag abend steht und über den CDU und SPD drei Monate verhandelt haben, nicht anders geworden. An der Spitze der Dreieinhalb-Millionen-Metropole steht erneut der farblose Eberhard Diepgen. Eine Kontinuität, die in der Logik der noch funktionslosen Hauptstadt dieser Republik liegt.

Krampfhaft wird zwischen Spandau und Marzahn, Pankow und Tempelhof Weltmetropole gespielt, der Mythos der goldenen Zwanziger, der Mauer- und Frontstadt bemüht, um im Alltag doch stets am Bulletenstand zu landen. Der neue Kultursenator Peter Radunski, bislang eher durch die erfolgreiche Vermarktung von CDU-Wahlkämpfen aufgefallen, steckte den Größenwahn gleich auf seiner ersten Pressekonferenz ab. Berlin als Kulturstadt müsse sich nicht nur mit Paris und London, sondern irgendwann auch einmal mit New York messen lassen. Das ist die Berliner Maßlosigkeit, die auf Auswärtige so abschreckend wirkt.

Ausgiebig wird in diesen Wochen der Provinzialismus beklagt, wenn der Blick auf die politische Klasse der Hauptstadt fällt. Ist Hamburg aber weniger provinziell, weil in Blankenese die Reichen beim Blick aufs Wasser an die nächste Weltreise denken? Oder München, weil dort im Gegensatz zu Berlin wenigsten eine bundesweit bedeutende liberale Zeitung existiert?

Berlins Mittelmäßigkeit ist das Ergebnis des alten Westberliner Sumpfes, der nach der Vereinigung auch den Osten erstickt hat. Plastisch führt die CDU unter den Doppelfürsten Diepgen und Fraktionschef Klaus Landowsky nun schon seit Jahren vor, daß Neuerungen nur soweit gewünscht werden, wie sie die in Jahrzehnten aufgebaute Machtbalance nicht stören. Jetzt wechselten drei CDU- Senatoren lediglich die Stühle, nur zwei Gesichter kamen neu hinzu. Manches, was wie eine Verlegenheitslösung wirkt, ist klares Kalkül. Bei der Wahl der Ostberliner Ärztin Beate Hübner, die als Doppelquote „Ossi und Frau“ das Gesundheitsressort übernimmt, besann sich Diepgen wieder einmal auf sein Prnzip, lieber einen schwachen als einen kompetenten Senator zu bestellen. Immerhin ein bewährtes Mittel, das den vorsichtig agierenden CDU-Landesvorsitzenden in den vergangenen Jahren stets oben beließ. Daß ausgerechnet mit Jörg Schönbohm ein Exgeneral den mit 30.000 Beamten größten Polizeiapparat der Republik führen soll, zeigt den Grad an Populismus, zu dem die Berliner CDU schon immer neigte. Innerhalb der CDU gibt es ein breites kleinbürgerliches Mileu, dessen konservative ordnungspolitische Vorstellungen zumindest im subjektiven Empfinden erfüllt wurden. Für sie bleibt Schönbohm der Offizier, der dem „Kampf gegen die Kriminalität“ seine militärische Bedeutung zurückgibt.

Berlins politische Landschaft wäre erträglicher, gäbe es einen sozialdemokratischen Ausgleich zur großen Versorgungsanstalt CDU. Doch die Partei, die Willy Brandt in den 60ern als Westberliner ReBürgermeister zum bundesweiten Aufstieg nutzte, ist nicht minder in alten Strukturen befangen. Genüßlich intrigieren die Genossen gegeneinander und opferten in den letzten Jahren einen Landesvorsitzenden nach dem anderen. Wer in diese SPD freiwillig eintritt, so das Signal, sollte schon vorher den Krankenschein ausfüllen. Links und rechts sind nur noch Etiketten, die von einzelnen der persönlichen Karierre wegen genutzt werden. Der ehemalige SPD-Bausenator Nagel hätte kein besseres Beispiel für den neidvoll-beleidigten Tonfall liefern können, mit dem in der Partei gekämpft wird: „Man muß jeden unterstützen, der bereit ist, nach Berlin zu kommen, um sich an der Berliner SPD die Hände schmutzig zu machen.“

Die Partei leidet an ihrer eigener Bedeutungslosigkeit. Zwar eröffnet die Bundes-SPD im Frühjahr ihre neue Parteizentrale in Kreuzberg, aber die symbolische Handlung kann nicht verdecken, daß die Berliner Genossen in der Anerkennungsskala weit hinter dem Brandenburger Ministerpräsidenten Stolpe rangieren. Daß sie es selbst spüren, weiß, wer einmal einen Landesparteitag besucht hat. Da klingen die Ovationen für Stolpe wie andernorts der verzweifelte Ruf nach dem Messias.

Es war wohl kein Zufall, daß SPD-Fraktionschef Klaus Böger die Suche nach Senatoren, die nicht aus Berlin kommen, so schwerfiel. Daß am Ende nur die ehemalige hessische Finanzministerin Annette Fugmann-Heesing zusagte – erst 24 Stunden vor der entscheidenden Fraktionssitzung –, zeigt, daß kein Politiker mit einem spontanen „Ja, gern“ in den Moloch zieht. Warum auch? Wer wirklich Karriere machen will, ist hier denkbar schlecht aufgehoben, denn er droht schon bald im dichten Geflecht Westberliner Interessen hängenzubleiben. Wer neue Ideen umsetzen will, muß sich zunächst mit der Erbschaft der alten Politikergarde abplagen: 23 Milliarden Mark sind bis 1999 einzusparen, ein aufgeblähter Verwaltungsapparat ist abzubauen, der Osten mit dem Westen zusammenzuführen.

Angesichts der in der Bundesrepublik einzigartigen Probleme verwundert es nicht, daß sich CDU und SPD in ihren Inhalten immer mehr gleichen. Was bei den Christdemokraten despektierlich als „schleichende Sozialdemokratisierung der Politik“ benannt wird, ist die logische Konsequenz einer Haushaltspolitik, die die eigene Partei mit verschuldet hat. Auch Diepgen kann nicht, ohne Einbußen bei der nächsten Wahl zu riskieren, mit Massenentlassungen und Schließungen öffentlicher Einrichtungen reagieren.

Das Problem des alten Senats wird so unweigerlich auch das des neuen sein: verwalten statt regieren. Das ist nicht nur ein Problem des Personals, sondern auch der politischen Zwangslage. Die Schwäche der CDU ist ihre Alternativlosigkeit. Außer der SPD hat sie keinen, den sie weiter an der Macht teilhaben läßt. Umgekehrt aber fesselt sich die SPD an die CDU, weil sie Rot-Grün nur ohne die PDS denken kann. Die Führungsspitzen beider Parteien haben sich aneinander gebunden, weil sie die allgemeine Floskel von der „Verantwortung gegenüber der Stadt“ über alles stellen. Das, so steht zu befürchten, wird auch das langweilige Motto der neuen Großen Koalition bleiben. Neue Köpfe im Senat werden daran wenig ändern können. Für wagemutige Drahtseilakte wurden sie nicht an die Spree geholt, eher fürs Bodenturnen. Severin Weiland

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