Der lange Sturz des FC Schalke: Überdosis Königsklasse
Der FC Schalke 04 ist konsequent heruntergewirtschaftet worden. Die Folge ist der Absturz ins Mittelmaß der Liga. So schnell wird sich die Lage nicht bessern.
KÖLN taz Die Fans von Schalke 04 waren außer sich nach der 2:1-Niederlage beim VfL Bochum. Volle Bierbecher flogen, Spieler wurden beschimpft, abwechselnd wurde die Entlassung von Trainer und Manager gefordert. Der Absturz ins Bundesliga-Mittelmaß ist schmerzhaft für die Schalker Seele. Schließlich kommen sie von ganz, ganz oben. Der Viertelfinaleinzug in der Champions League liegt nicht einmal ein Jahr zurück.
Es war wohl eine Überdosis der Droge Königsklasse, die ihnen nach diesem Erfolg durch die Venen zirkulierte. Seit den großen Tagen auf der internationalen Bühne wollen sie allzu dringend jene Stufe erklimmen, auf der man sich regelmäßig mit dem FC Barcelona oder dem FC Chelsea messen darf.
Außerdem war plötzlich Geld da. Die Gier, schnell weiter aufzusteigen, hat die Schalker Klubführung von einer Fehlentscheidung in die nächste getrieben. Wobei diese Kopflosigkeit von vielen Fans, den Beratern, die den Klub umgeben, und vielen Journalisten vor Ort forciert wurde.
Ergebnis: 2:1 (1:1)
VfL Bochum: Fernandes - Schröder, Pfertzel, Mavraj, Christian Fuchs - Imhof - Azaouagh (73. Grote), Dabrowski - Epalle - Sestak (90.+2 Fabian), Klimowicz
FC Schalke 04: Neuer - Rafinha, Westermann, Krstajic, Kobiaschwili (83. Latza) - Engelaar - Rakitic (70. Pander), Altintop - Farfán, Kuranyi, Asamoah (70. Sanchez)
Schiedsrichter: Kircher (Rottenburg)
Zuschauer: 30.605
Tore: 0:1 Kuranyi (18.), 1:1 Azaouagh (44.), 2:1 Dabrowski (57.)
Gelbe Karten: Christian Fuchs (3), Mavraj (3), Epalle (1), Sestak (5) / Altintop (1), Rafinha (7)
Beste Spieler: Christian Fuchs, Azaouagh / Westermann, Farfán
Also haben sie erst Erfolgstrainer Mirko Slomka entlassen - dabei befand sich der Klub am vorläufigen Höhepunkt seiner jüngeren Vergangenheit. Den Verantwortlichen spielte das Team allerdings nicht attraktiv genug. Im Sommer wurden dann die Personalkosten auf 55 Millionen Euro verteuert, es war der kostspieligste Kader der Klubgeschichte und der zweitteuerste der Bundesliga.
Vor allem in Holland wurden für viel Geld Stürmer Jefferson Farfan, Mittelfeldspieler Orlando Engelaar und Trainer Fred Rutten erworben. Drei Männer, die für das stehen, was Schalke in der Gegenwart ist: graues Mittelmaß.
Rutten steht zudem für eine verzerrte Wahrnehmung. Nach der desillusionierenden Niederlage in Bochum sagte er ernsthaft, seine Mannschaft habe "eine ordentliche Leistung" abgeliefert, und behauptete, dass weiterhin "eine spielerische Entwicklung erkennbar" sei. Manager Andreas Müller, der von den Fans zum Hauptverantwortlichen erklärt wird, schweigt seit einer Woche. Bochum verließ er wenige Minuten nach dem Abpfiff fluchtartig.
In einer anderen Situation hätten die Schalker Rutten längst gefeuert. Man erinnere sich nur, dass vor Slomka Ralf Rangnick aus Gelsenkirchen fortgejagt wurde. Auf Platz vier wohlgemerkt. Doch eine Entlassung Ruttens wäre eine Bankrotterklärung von Müller, und wenn beide das Feld räumen, dann gibt es im Klub niemanden mehr, der über ernstzunehmende sportliche Kompetenzen verfügt. Präsident Josef Schnusenberg, Geschäftsführer Peter Peters und Aufsichtsratschef Clemens Tönnies sind Finanzleute.
Wahrscheinlicher ist daher eine Trennung von Müller. "Ich verstehe die Leute", sagte Peters in Bochum zu diesen Forderungen, "aber ich schließe personelle Konsequenzen aus." Sie brauchen Zeit, und für den Manager sei ohnehin "nicht der Vorstand, sondern der Aufsichtsrat zuständig", meinte Peters. Aufsichtsratschef Tönnies erklärte: "Wir treffen keine Entscheidungen aus der Hüfte heraus."
Wie einst Ikarus sind die Schalker nun ohne Flügel aufgeschlagen. Im Winter mussten sie sich von Spielern trennen, um nicht in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, eine Entwicklung, die im Sommer wohl fortgesetzt wird. Schalke wird wieder schlanker und länger kein Schwergewicht mehr sein. Der Klub, er ist richtig tief gestürzt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart