■ Der iranische Staatschef nimmt Mordaufruf gegen Rushdie zurück: Ziel ist Aufhebung der US-Sanktionen
Der iranische Staatspräsident hat den seit 1989 bestehenden Mordaufruf gegen den Schriftsteller Salman Rushdie faktisch zurückgenommen. Teheran hat zwar schon vor längerem erklärt, daß „in der Affäre nichts mehr unternommen werde“, dieser Schritt hat jedoch innenpolitisch große Bedeutung. Chatami, der als „moderner Islamist“ gilt, ist seit seiner Amtseinführung von den Konservativen im Lande wegen seiner „liberalen Politik“ heftig kritisiert worden. Eine von einem religiösen Führer ausgesprochene Fatwa kann zwar nur von diesem selbst zurückgenommen werden; der iranische Staatspräsident hat jedoch die verfassungsmäßige Aufgabe, „die Leitlinien der Islamischen Republik zu bestimmen“. Dies hat Chatami getan. Er hat sich gegen seine innenpolitischen Gegner und damit gegen die Zweifel des Auslands durchgesetzt, die ihm zuwenig Rückhalt im eigenen Lande unterstellten.
Auch außenpolitisch setzt die Rücknahme klare Signale. Die geopolitische Lage in Mittelasien hat sich in den letzten Monaten stark verändert. Nachdem sich der Iran lange Zeit als regionale Großmacht wähnen konnte, haben Indien und Pakistan mit der Atombombe Teheran einiges voraus. Die andauernde iranische militärische Präsenz an der Grenze zu Afghanistan ist nichts anderes als eine Machtdemonstration, die auch den neuen asiatischen Atommächten gilt. Der Iran muß nun jedoch seinen langjährigen Einzelkämpferstatus überwinden, den er sich lange leisten konnte. Dieser hat sich zu einer Isolation entwickelt, in der es selbst dem schiitischen Staat nicht mehr lange möglich sein wird, gegen Dialogangebote aus dem Westen zu mauern.
Bereits am Montag hat Chatami die Vereinten Nationen dazu aufgerufen, das Jahr 2001 zum „Jahr des Dialogs unter den Zivilisationen“ zu deklarieren. Sogar die vormals als „Werkzeug der USA“ erkannte UNO wird jetzt als Vermittlerin im Konflikt mit den Taliban erwogen. Der eigentliche Grund für diese Anbiederung dürfte aber die Hoffnung sein, durch den Dialog mit dem Westen die USA zur Lockerung der Sanktionen gegen die iranische Öl- und Gasindustrie zu bewegen. Die USA und der Iran unterhalten seit der Islamischen Revolution keine diplomatischen Beziehungen mehr. Chatami hat den ersten Schritt getan, nun sind die USA gefordert.
Für Rushdie bleibt die Frage, ob sich seine Verfolger an die Weisung Chatamis halten oder ob nicht das Andenken an den verstorbenen Ajatollah Chomeini überwiegt. Peter Schäfer
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