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■ Der in Düsseldorf ausgehandelte Koalitionsvertrag regelt im Detail, wie die künftige rot-grüne Regierung in NRW mit dem Zankapfel GarzweilerII umzugehen gedenkt. Dennoch bedeutet für die...Der große Sprung über die Grube

Der in Düsseldorf ausgehandelte Koalitionsvertrag regelt im Detail, wie die künftige rot-grüne Regierung in NRW mit dem Zankapfel GarzweilerII umzugehen gedenkt. Dennoch bedeutet für die Bündnisgrünen die Vereinbarung einen „Einstieg in den Ausstieg“, für die SPD dagegen gilt die erteilte Genehmigung.

Der große Sprung über die Grube

Am späten Dienstag nachmittag, so ein Teilnehmer, hatten sich noch „24 Leute in vollendeter Ratlosigkeit“ gegenüber gesessen. Geknickt gingen Bündnisgrüne und Sozialdemokraten auseinander, und Manfred Busch, der grüne Finanzexperte, sah das Ende schon gekommen: „Wie wir da rauskommen, weiß ich auch nicht.“ Ein paar Stunden später war die Welt wieder in Ordnung. Auf der Dachterrasse der nordrhein-westfälischen Lanndesvertretung in Bonn kam den Spitzenleuten am lauen Sommerabend doch noch die Erleuchtung. Johannes Rau, sein Koordinator Wolfgang Clement, die mächtigen Bezirkschefs Franz Müntefering und Heinz Schleußer sowie Fraktionschef Klaus Matthiesen auf der Seite der Sozialdemokraten suchten im Gespräch mit Bärbel Höhn, Michael Vesper, dem grünen Parteispitzenduo Barbara Steffens und Rainer Priggen sowie Manfred Busch in Sachen Garzweiler II nach dem Ausweg. Und fanden ihn.

Klar ist nun, daß die Bündnisgrünen an der Planung des höchst umstrittenen Braunkohletagebauprojekts in jeder Phase so beteiligt werden, daß keine wichtigen Entscheidungen ohne ihre Zustimmung fallen können. Über die einzelnen Schritte soll ein Koalitionsausschuß entscheiden, dem sowohl der sozialdemokratische Wirtschaftsminister wie der grüne Umweltminister angehören werden. Die von Gerd Mai, dem umweltpolitischen Sprecher der Öko-Partei, geforderten „Garantien für unsere administrative Beteiligung an dem Garzweiler-Planverfahren“ wurde damit gewährt. Gleichzeitig bleibt die Zuständigkeit für die bergrechtliche Genehmigung – entgegen der Forderung der Grünen – aber auch in Zukunft beim Wirtschaftsministerium. Allein die Raumplanung fällt wie bisher in die Kompetenz des künftigen grünen Umweltministers, der mit Sicherheit Michael Vesper heißen wird. Über die Ressortzuschneidung wurde zwar gestern noch kräftig gerungen, aber unüberwindbare Hindernisse sahen beide Partner dabei nicht mehr.

Der ausgehandelte Koalitionsvertrag regelt im Detail, wie die rot-grüne Regierung künftig mit Garzweiler II umzugehen gedenkt. Die Basis des gesamten Verfahrens bietet dabei die Genehmigungsurkunde, die die Düsseldorfer Landesregierung noch kurz vor der Wahl dem Braunkohlebetreiber Rheinbraun gegen den erbitterten Widerstand der Bündnisgrünen ausgestellt hatte. Dieser Passus der Koalitionsvereinbarung, die wohl erst heute im Wortlaut veröffentlicht wird, wurde nach den Worten des Düsseldorfer Regierungssprechers Wolfgang Lieb „mit einer Förmlichkeit formuliert, die fast schon an einen Gesetzestext heranreicht“. Der Text biete deshalb auch „keinen Millimeter Freiheit für Interpretationen“. Exakt das Gegenteil hört man aus dem anderen Lager.

Während ein bündnisgrüner Unterhändler die Vereinbarung als einen „Einstieg in den Ausstieg“ wertete, verkündete SPD- Fraktionschef Klaus Matthiesen, daß sich dadurch „an der rechtsgültigen Genehmigung und der Realisierung des Projekts nichts ändert“. Johannes Rau selbst gab dazu eine zweigeteilte, schon auf höchstem koalitionsdiplomatischem Niveau angesiedelte Interpretation: Es sei eine „Verständigung“ gefunden worden, „die die Rechtskraft der Genehmigung und das Projekt nicht gefährdet“ und gleichzeitig den Grünen die Möglichkeit lasse, „ihre grundsätzlich andere Auffassung zu artikulieren und Chancen zu suchen, wie man diesen Prozeß verändern kann“. Im Klartext heißt das: Auf der Basis des Genehmigungsbescheides wird die Planung so fortgeführt, daß dadurch keine neuen Fakten geschaffen werden, die die in der Genehmigungsurkunde garantierte Rückholbarkeit aushebeln könnten. Beide Partner sind entschlossen, die „Energiewende“ (Energiesparen, Erhöhung der Energieeffizienz, massive Förderung von regenerativen Energien) voranzubringen. Würde sich dadurch der Strombedarf nachhaltig reduzieren, erledigte sich Garzweiler II quasi von selbst.

Im nun anstehenden Planungsprozeß erwartet die neue Regierung, daß der zur Genehmigung anstehende Rahmenbetriebsplan von den Betreibern zunächst nur für ein Drittel des ursprünglich geplanten Abbaufeldes gestellt wird. Beschlossene Sache ist der Abbau dieses Drittels damit aber noch nicht.

Genehmigt werden soll der Rahmenbetriebsplan erst, wenn die eingereichten und angekündigten verfassungsrechtlichen Verfahren entschieden sind. Das kann sich bis mindestens 1998 hinziehen. Bis dahin wird es nach den Worten des bündnisgrünen Parteisprechers Priggen „keine Umsiedlungen“ geben. Damit sei ein „faktischer Umsiedlungsstopp“ geschaffen worden. Um zu verhindern, daß Rheinbraun zwischenzeitlich über den Aufkauf von Häusern neue Fakten schafft, wird die Landesregierung einen Grundstücksfonds einrichten, um bei Notlagen von Hausbesitzern, die in dem potentiellen Abbaugebiet sonst ausschließlich an Rheinbraun verkaufen könnten, als Käufer auftreten zu können.

Gegen diesen Kompromiß laufen die in der Gewerkschaft IGBE organisierten Bergleute inzwischen Sturm. Johannes Rau hat auf die IGBE-Ankündigung von „massiven Protesten“ inzwischen schriftlich reagiert. Ihm liege viel daran, „für die Zukunft der Stein- und Braunkohle einen Weg zu gehen, den die IGBE und die Bergleute mitgehen können“. Wer eine Koalition brauche, müsse aber „einen Weg finden, der das Zueinander ermögliche“. Dabei stelle sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit doppelt. Einerseits müßten sich die Bergleute darauf verlassen können, daß die von der SPD-Regierung erteilte Genehmigung „gelte“. Andererseits müßten aber auch die Kritiker darauf vertrauen können, „daß die in der Genehmigung genannten Bedingungen gelten“. Ob sich die Bergleute mit dieser Interpretation des Düsseldorfer „Doppelbeschlusses“ abfinden werden, wird sich heute auf der Belegschaftsversammlung von Rheinbraun zeigen. Dort will der von der IGBE als treuer Kohlefreund gefeierte Klaus Matthiesen auftreten. Ob die erregten Kumpel nach dessen Auftritt von ihrer Absicht lassen, beim SPD-Parteitag am kommenden Sonntag in Hagen zu demonstrieren, steht in den Sternen. Noch grassiert bei den Genossen die Angst vor Fernsehbildern von aufgebrachten Kumpeln mit brennenden SPD-Parteibüchern in den Händen ... Walter Jakobs

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