piwik no script img

Der ideale Bürgerschreck

■ Alt-Fool Jango Edwards beglückte seine treue Bremer Kultgemeinde

Endlich! löst er den Zopf, schüttelt den Kopf und läßt die langen Haare frei flattern. Da juchzt die Menge. Das ist der Jango, wie wir ihn kennen, wie wir ihn lieben. Ganz der alte Fool und Freak. Da kann er anstellen, was er will. Kann sich dick die Schminke ins Gesicht schmieren, sich mit historischen Clownskostümen verkleiden und neuerdings unter dem Titel „The Klones“ herumreisen, im Schutze eines kleinen Clownskollektivs – vergebens. Die deutschen Fans sind eben die treuesten. Und die Bremer besonders hartnäckig. Die Altfreaks und Studienräte, mit ihrem Idol in die Jahre gekommen, fordern ihr Recht. So wird aus jedem neuen Auftritt des Meisters doch dieselbe, alte Jango-Edwards-Show, zu der dieselben Leute sich über dieselben Posen hochziehen .

Die hat Jango mit den Jahren perfektioniert. Ohne – und das ist sein wahres Kunststück – daß seine Gags und Zoten irgendwie mechanisch wirken. Als sei ihm die Nummer eben gerade mal eingefallen, stellt er sich auf den Barhocker, zieht sein linkes Hosenbein kurz hoch – da isser: „Ladies and Gentlemen, The Singing Schwanz!“ Und Vorsicht da vorn in den ersten Reihen, bitte Abstand halten – Jangos Ding ist bekanntlich so lang, daß die Nummer auch ins Auge gehen könnte. Spitz lachen die Damen an der Theke, die Begleiter grinsen bübisch.

Dabei hatten sich Jango & Klones sich alles so schön ausgedacht. Ein Streifzug durch die Welt der Clowns hätte der Abend werden sollen. Ein stilisiertes Zirkuszelt ließ man unter der Kuppel im „Modernes“ aufbauen; eine kleine Zirkuskapelle klimperte beschauliche Weisen. Ja, „der nostalgische Zauber des Zirkus“ sollte die Schau durchwirken – so hatte es die Konzertdirektion hinaustrompetet. Aber nostalgisch sind die Abende mit Jango eben in ganz anderem Sinne: Nicht der sentimentale Roncalli-Schmus wird hier verkostet, sondern der Quark von Freiheit und Abenteuer, wie ihn die Möchtegern-Aussteiger vermutlich seit anno –68 breittreten. Holland und all das! Lange Haare! Freie Liebe! Selbstgedrehte Zigaretten! Für all das muß Jango seinen Clownskopf herhalten, Jahr um Jahr, als ideeller Gesamtbürgerschreck.

So hocken sie brav im Schneidersitz, ganz entspannt auf dem Tanzparkett, wo sonst die hitzige Jugend sich die Füße plattstampft. Man läßt sich sich zum x-ten Male Jangos „Bobo“ zeigen. Gackert, wenn Jango sich in den Schritt patscht. Und nochmal patscht. Wenn Jango im Ballerina-Kostüm die Plastikbrüste reckt und uns den „Sterbenden Schwan“ macht. Wenn er die Schlabberzunge gierig ins Publikum reckt, wenn er dann endlich doch die Hosen runterläßt.

Jangos Kunst ist keine feinsinnige Clownspoesie, sondern derbe Körperkunst. Er stampft und rudert, schlingert und fängt sich wieder. Wirft seinen Bauch in Falten, streckt ihn bedrohlich vor – zum Anfassen schön, aber wer's wirklich wagt, kriegt eine gelangt. „Don't you touch my eggs!“ Das verstehen die Deutschen. Und lachen. Nur wer wirklich englisch versteht, sagt er, hat mit seinem wunderbaren Kauderwelsch Probleme. „I love you all“, gießt er sich am Schluß ins Publikum – „if I have the time, maybe after the show...“

Das hätte er besser nicht versprochen. Denn nach der Show fängt der Jangokult erst richtig an. Die Allertreuesten stürmen die Garderobe, mit Jangoplakaten in der Hand: Jango „mal ganz“ nackt. Ist er noch nicht abgeschminkt, oder hat er wirklich so schwarze Ringe unter den Augen? Gleichviel, ein jedes kriegt sein Autogramm, aufs Poster, ins Buch, aufs Hosenbein. Und ein Bussi auf die Backe. Das hält bis nächstes Mal. Im Herbst ist Jango schon wieder da, diesmal gleich ganz allein. Thomas Wolff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen