: Der große Kompromiss
CDU und SPD liegen in vielen Fragen weniger weit auseinander, als sie im Wahlkampf glauben machen wollten
VON KLAUS JANSEN
Die Chefs haben versucht, diesen Dämon aus dem Wahlkampf zu verbannen. Große Koalition? „Wird es nicht geben“, hat Angela Merkel gesagt. „Nicht mit mir“, hat Gerhard Schröder versprochen. Seit gestern Abend gilt zumindest Merkels Spruch nicht mehr: Sollte sich die FDP nicht zu einer Ampelkoalition bereit erklären, kommt es in Deutschland zum zweiten Mal nach 1966 zu einem Regierungsbündnis von CDU und SPD. Ein Blick auf die wichtigsten Fragen einer solchen „Elefantenhochzeit“:
Wer wäre dabei?
Angela Merkel könnte von der SPD zur Kanzlerin gemacht werden – wenn sie von ihren parteiinternen Rivalen noch gestützt wird. Gerhard Schröder denkt allerdings nicht daran, Merkel zu unterstützen. Er will Kanzler bleiben – zur Not auch in einer großen Koalition. Dies aber wäre ein Novum in der deutschen Geschichte: Noch nie stellte der kleinere Koalitionspartner den Regierungschef. Sicher scheint: Als Juniorpartner steht Schröder persönlich nicht zur Verfügung.
Im Falle einer Regierungsbeteiligung unter einer Kanzlerin Merkel müsste Parteichef Franz Müntefering die SPD im Umbruch zusammenhalten. „Opponieren ist Mist“, gehört zu Münteferings Leitsätzen. Favorit für das Amt des Vizekanzlers wäre in diesem Fall jedoch nicht Müntefering, sondern der frühere NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück. Er könnte Wirtschafts- oder Finanzminister werden.
Längst vergessen ist Paul Kirchhof – er wird als Sündenbock für das Verfehlen einer schwarz-gelben Mehrheit herhalten. Ob für ihn tatsächlich Friedrich Merz nachrückt, ist ebenso unklar wie die Frage, wer Joschka Fischer als Außenminister nachfolgt.
Würde „das Schlimmste“ verhindert?
„Das Schlimmste“ – in den Augen vieler sozialdemokratischer Wähler ist das ein neoliberaler „Durchmarsch“ von Angela Merkel. Die SPD wird versuchen, vor allem die Angriffe auf ihre eigene Klientel abzuwehren: die Aufweichung der Tarifautonomie und eine weit gehende Lockerung des Kündigungsschutzes. Franz Müntefering könnte sich mit Oskar Lafontaine von der Linkspartei als Redner auf Gewerkschaftsdemos abwechseln.
Worauf könnten sich SPD und CDU einigen?
Liebstes Kind aller Fans der großen Koalition ist die Föderalismusreform, also die Neuordnung der Machtverhältnisse zwischen Bundes- und Landesregierungen. Allein dafür, heißt es vor allem bei vielen Sozialdemokraten, würde sich ein Bündnis mit der Union lohnen. Doch auch in zahlreichen anderen Politikfeldern liegen die großen Parteien längst nicht so weit auseinander, wie sie im Wahlkampf glauben machen wollten. Beispiel Inneres: Bei den Themen Terrorbekämpfung und Migration ist Otto Schily seinem CSU-Kollegen Günther Beckstein näher als den neuerdings wieder bürgerrechtsbewegten FDP-Innenpolitikern.
Beispiel Arbeitsmarkt: Hartz IV haben die großen Parteien gemeinsam beschlossen – ein Politikwechsel ist nicht zu erwarten. Beispiel Rente: Auf einen Ausbau der privaten Vorsorge können sich beide Parteien einigen, die umlagefinanzierte gesetzliche Rente als zweite Säule bleibt erhalten. Und auch in der Außenpolitik gibt es mehr Gemeinsamkeiten als auf den ersten Blick angenommen: Kosovo, Afghanistan – mit Ausnahme der Irak-Debatte lagen die Parteien beim Thema militärische Interventionen bislang auf einer Linie. Und beim Konflikt um den EU-Beitritt der Türkei wird man Zeit gewinnen und Kompromisse finden.
Wo droht Krach?
Schwer vereinbar erscheinen die Positionen zur Gesundheitspolitik. Allerdings: Bürgerversicherung gegen Kopfpauschale hätte das große Thema dieses Wahlkampfes werden können – es wurde still zur Seite geschoben. Ein Indiz dafür, dass man die große Reform verschiebt? Ebenfalls strittig sind die Positionen in der Energiepolitik. Grünen-Anhänger müssen fürchten, dass sich die SPD trotz Gerhard Schröders Ökowende im Wahlkampfendspurt nicht zum entschlossenen Verteidiger von Energiewende, Ökosteuer und Förderung regenerativer Energien macht.
Wie könnte ein Bündnis halten, und was käme danach?
Große Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit. Auf „zwei, drei Jahre“ wird die Dauer einer solchen Zusammenarbeit geschätzt, spätestens nach einer Legislaturperiode ist wohl Schluss. Die Union wird dann im nächsten Wahlkampf – mit welcher KandidatIn auch immer – erneut ein schwarz-gelbes Bündnis anstreben. Die SPD wird auf Rot-Grün setzen – und vielleicht auf eine Tolerierung von der Linkspartei. Beide Lager werden einen „Richtungswahlkampf“ ausrufen – wie vor dieser Bundestagswahl.