: Der große Haß von „Wounded Knee“
Vor genau hundert Jahren ging der ungleiche Kampf zwischen den nordamerikanischen Ureinwohnern und den weißhäutigen Ankömmlingen, die den Kontinent seit dem frühen 17. Jahrhundert besiedelt hatten, zu Ende. Das Massaker vom 29. Dezember 1890 am Wounded Knee in South Dakota brach endgültig den Widerstand der Indianer. Jahrzehntelang hatten sie sich mit Waffengewalt ihrer Vertreibung nach Westen und dem Raub ihres Landes widersetzt. Einer ihrer letzten großen Häuptlinge war der Sioux Tatanka Yotanka, von den Weißen „Sitting Bull“ genannt. Sein gewaltsamer Tod ging dem Massaker von Wounded Knee zwei Wochen voraus.
Im Sommer 1883 hatten sich die Bosse der Northern Pacific Railroad ausgedacht, daß zur Einweihung ihrer ersten transkontinentalen Eisenbahnstrecke durch Indianerland, einer der Häuptlinge eine Rede halten sollte. Ein junger Offizier, der die Sprache der Sioux beherrschte, sollte die Ansprache übersetzen. Zu seiner großen Überraschung sprach Sitting Bull ganz andere Worte als die verabredeten: „Ich hasse alle Weißen“, donnerte der schon zu Lebzeiten legendäre Sioux — immerhin hatte er 1876 General Custer am Little Bighorn eine schwere Niederlage beigebracht. „Ihr seid Diebe und Lügner. Ihr habt uns unser Land weggenommen und uns zu Ausgestoßenen gemacht.“
Sitting Bull sprach aus Erfahrung, sowohl aus seiner eigenen wie aus der aller amerikanischen Ureinwohner, die von Kolumbus irreführenderweise „Indianer“ getauft worden waren. Von den einst Millionen von Ureinwohnern waren 1870 noch 26.000 übrig. In den folgenden Jahren wurden die meisten von ihnen in Reservate gedrängt. Deswegen horchten sie auf, als im Sommer 1890 aus dem fernen Nevada die Kunde von einem angeblichen Messias zu ihnen drang. Der Heilsbringer, ein Paiute-Indianer namens Wovoka, verhieß, daß im Frühjahr, wenn das Gras kniehoch stehe, neuer Boden die Erde bedecken werde. Alle Weißen würden darunter begraben und das neue Land voll riesiger Büffelherden sein. Nur wenn die Indianer den Geistertanz tanzten, könnten sie überleben.
Sitting Bull war skeptisch, doch auch seine Leute gerieten unter den Einfluß Wovokas. Die Indianerbehörden hatten keine Erklärung für das wilde Treiben und befürchteten, die nächtlichen Tänze und Gesänge kündigten einen neuen landesweiten Aufstand an. Also schickten sie die Indianerpolizei aus, um den Mann festzunehmen, der ihnen schon lange ein Dorn im Auge war, und den sie nun als Anführer der Bewegung sahen: Sitting Bull. Bei seiner Festnahme leisteten seine Anhänger Widerstand, ein Schußwechsel hinterließ mehrere tote Polizisten und Indianer — darunter den großen Häuptling Tatanka Yotanka.
Der Tod Sitting Bulls war ein Schock für die Indianer. Als einzige Alternative blieb, sich in die Abhängigkeit des Reservatlebens zu fügen. Auf ihrem Wege in die vermeintliche Sicherheit wurde am 29. Dezember 1890 der Stamm der Lakota-Indianer im Kreuzfeuer von über 700 Kavalleristen und vier Kanonen niedergemäht. 1973 markierte die siebzigtägige Besetzung des Schauplatzes dieses Massakers die Wiedergeburt indianischen Widerstandsgeistes. Stefan Schaaf
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