■ Der griechische Außenminister Georgos Papandreou will den EU-Kandidatenstatus für die Türkei – und er will ihn nach den für alle Kandidaten gültigen Kopenhagener Kriterien. Im taz-Interview hofft er auf eine türkische „Geste des guten Willens“. Die bahnt sich an.: „Griechenland ist für die Türkei“
taz: Herr Papandreou, das wichtigste Ziel Ihrer Regierung ist der Beitritt zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion bis 2001. Ist das realistisch?
Georgos Papandreou: Es ist realistisch, weil wir die WWU-Kriterien fast erfüllt haben. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, rechnen wir für Juni 2000 mit dem Beschluss über die Aufnahme Griechenlands zum Jahresbeginn 2001.
In der EU steht die Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik an. Es geht dabei auch um die Begrenzung der Vetomacht der einzelnen Mitglieder. Könnte Griechenland damit leben?
Das Vetorecht in Fragen von nationalem Interesse lässt sich nicht einfach per Beschluss abschaffen. Das kann sich nur aus einer realen Konvergenz der nationalen Interessen ergeben. Dieser Prozess ist bereits im Gange, aber er wird länger dauern.
Wo sehen Sie eine solche reale Konvergenz der Interessen?
Sehen Sie, in der EU wird debattiert, ob zur Beilegung bilateraler Probleme der Haager Gerichtshof zuständig sein sollte. Dieses Verfahren schlagen wir auch im Hinblick auf unsere Differenzen mit der Türkei in der Ãgäis vor.
Sie sagen, ausgerechnet Griechenland müsse bei der Annäherung der Türkei an die EU zur treibenden Kraft werden. Wie reagieren die EU-Partner, da sich Griechenland nicht mehr als Sündenbock für die zögernde Türkei-Politik der EU andient?
Ich sehe einen heilsamen Effekt. Die EU muss jetzt als Ganzes in dieser Frage mehr Transparenz und Aufrichtigkeit entwickeln. Alle anderen müssen jetzt klar sagen, ob und in welcher Verfassung sie die Türkei in Europa haben wollen.
Was wollen Sie?
Wir Griechen wollen eine europäische Türkei, und zwar im substanziellen Sinne – nicht nur nominell. Das heißt, dass die Türkei sich in Richtung mehr Demokratie entwickelt, dass sie ihre außenpolitische Sicht verändert, sich nicht so bedroht fühlt – und damit fähig, Lösungen für umstrittene Fragen auch im Verhältnis zu Griechenland zu finden.
Das werden Sie den Kollegen in Helsinki klarmachen?
Über eine gemeinsame Türkei-Konzeption werden wir in Helsinki sehr nützliche Diskussionen führen. Auch über die Frage, welche Zusagen von türkischer Seite zu bekommen sind.
Das klingt, als erwarteten Sie noch keine klare Entscheidung.
Ganz im Gegenteil. Griechenland ist dafür, dass die Türkei in Helsinki zum tatsächlichen EU-Kandidaten wird, und nicht bloß zum virtuellen. Wir sollten unsere Verantwortung gegenüber einer EU-Kandidatur der Türkei ehrlich formulieren, aber auch die Türkei muss zu ihrer Verantwortung stehen. Wenn wir nur mit Worten spielen, könnte vielleicht die türkische Elite kurzzeitig einen psychologischen Sieg reklamieren. Aber die Probleme blieben die gleichen, und die EU hätte eine gute Chance verpasst.
Gelten für die EU-Kandidatur der Türkei die Kopenhagener Kriterien, die auf alle Kandidaten gemünzt sind? Oder gibt es besondere Kriterien für die Türkei?
Die Kriterien gelten für alle gleich. Aber natürlich ist jedes Land anders und hat unterschiedliche Probleme. Beim Stichwort „Minderheiten“ oder „gutnachbarschaftliches Verhalten“ stellen sich die Probleme für Rumänien anders als für die Türkei.
Aber die Maßstäbe ...
... müssen die gleichen sein. Vergessen wir nicht, dass wir in Helsinki über ganz Südosteuropa spechen werden.
Erwarten Sie aus Ankara noch vor Helsinki eine Geste des „guten Willens“?
Wir stellen kein Ultimatum. Aber Gesten würden das Klima beeinflussen. Etwa wenn es zu Verhandlungen über Zypern kommen würde. Ministerpräsident Ecevit hat ja bereits geäußert, die Türkei habe gegenüber Griechenland keine territorialen Ansprüche. Das ist sehr bedeutsam, aber es sollte sich auch praktisch äußern.
Dass Sie den EU-Kandidatenstatus der Türkei befürworten ist in Griechenland nicht überall populär. Das gilt erst recht für ihre Äußerungen über die „muslimische Minderheit“ in Thrakien.
In der Balkanregion gab es stets Befürchtungen hinsichtlich der Minderheiten, weil das mit territorialen Fragen zusammenhängt. Minoritäten wurden als „Trojanisches Pferd“ benutzt, um Grenzverschiebungen durchzusetzen. Diese Ängste gibt es auch in Griechenland. Andererseits beanspruchen wir, als „europäisierender“ Faktor in der Region zu wirken.
Was setzt deren Anschluss an Europa voraus?
Mehrere Dinge: ökonomische Entwicklung, demokratische Fortschritte und regionale Sicherheitsstrukturen. Bei alledem spielen Minderheitenrechte eine entscheidende Rolle. Wenn Griechenland das seinen Nachbarn vermitteln will, muss es selbst glaubwürdig dastehen. Deshalb legen wir großen Wert auf die Einhaltung internationaler Statuten, etwa des Europarates und der OSZE.
Könnte Ihre Regierung das nicht deutlicher in der eigenen Öffentlichkeit klarmachen?
Die öffentliche Meinung versteht zunehmend, wie vorteilhaft es ist, die muslimischen Minderheiten in die griechische Gesellschaft zu integrieren. Dazu gehört das demokratische Recht, sich persönlich zu ihrer Identität zu bekennen, ob als Türken, als Pomaken oder als Roma. Das hat nichts zu tun mit sezessionistischen Forderungen. Meine Position wurde von vielen Intellektuellen und Politikern unterstützt. Das ist erfreulich.
Was bedeutet das für die Rolle der orthodoxen Kirche? Heute kann eine Moschee nur mit Zustimmung des orthodoxen Bischofs der Region errichtet werden.
Das stimmt nicht ganz. Die Entscheidung liegt beim Religions- und Erziehungsministerium, das die Meinung des Bischofs einholen muss. Aber wir werden das mit der Kirche diskutieren. Wir wollen unsere Gesetze harmonisieren unter Respektierung der orthodoxen Kirche, aber auch der anderen Religionen.
Ein bilaterales Thema sind auch Finanzmittel, die der Türkei innerhalb der Zollunion mit der EU zustehen. Werden die von Griechenland noch blockiert?
Nach dem Erdbeben in der Türkei haben wir beantragt, dass Gelder für humanitäre Hilfe zum Teil aus diesem Fonds ausgezahlt werden. Gleichwohl haben wir noch Vorbehalte, was die Mittel nach dem Zollunions-Abkommen betrifft.
Warum?
Das hat mit unserern Erfahrungen zu tun: Nach Abschluss der Zollunion 1995 hofften wir ernsthaft auf bessere Beziehungen. Stattdessen kam es Anfang 1996 zum Grenzkonflikt um die Imia-Inseln. Damit eröffnete die Regierung Çiller ein völlig neues Kapitel. Statt die Probleme zu reduzieren, hatten wir sofort nach der Zollunion das neue Problem mit „grauen Zonen“ und territorialen Ansprüchen. Aber jetzt regen wir an, die blockierten Gelder in Helsinki – im Kontext mit dem Kandidatenstatus der Türkei – zu einem neuen Finanzpaket zu schnüren.
Es gibt die Theorie, dass die Türkei zu einer Lösung des Zypern-Problems bereit sei – gegeneine EU-Mitgliedschaft. Aber viele bezweifeln, ob die entscheidenden Kräfte – vor allem das Militär – noch ernsthaft interessiert sind.
Wir waren stets der Meinung, dass der Fortschritt in den Beziehungen zwischen der Türkei und Europa ein besseres Klima für eine Zypern-Lösung schaffen kann. Aber wir rechnen hier auch mit der Solidarität unserer Partner.
Sie denken auch an jene Partner, die sagen, Zypern solle nur aufgenommen werden, wenn das politische Problem gelöst ist?
Wir wollen die Zusicherung von unseren EU-Freunden, dass der Beitritt der Republik Zypern nicht indirekt durch ein türkisches Veto blockiert wird. Diese Zusicherung sollte zugleich einen Anreiz für Ankara darstellen.Wir sollten den Türken sagen: Ja, wir wollen euch in der europäischen Familie, aber es wäre gut, die türkischen Zyprioten schon früher dabei zu haben. Warum wollt ihr die aus der Familie heraushalten, der ihr selbst beitreten wollt?
Interview: Niels Kadritzke
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