: Der gefährliche Spielgefährte
ERSTER PREIS Handicap International und taz küren den Sieger des Schülerwettbewerbs: In Laos ist die Streubombe für viele tausend Menschen ein täglicher Begleiter
1. Platz: Jan-Hendrik Mautsch, „Der gefährliche Spielgefährte“ Julia Seliger, taz: Honig, Natur, Weichheit – ein großartig gewählter Gegensatz zur tödlichen, splitternden, artifiziellen Streubombe, mit der der Gewinner in den Text eingestiegen ist. Er nimmt sich viel Zeit zum Erzählen: Der Einstieg ist lang, aber das ist gut so. Journalisten müssen Geschichten erzählen können. Geschichten und Bilder helfen, komplizierte Sachverhalte allgemeinverständlich darzustellen. Sachliche Nachrichten zu schreiben, das kann man immer lernen. Nach dem schillernden Einstieg folgen die relevanten Informationen zu Streubomben in Laos. An dieser Stelle könnten einige Anmerkungen zum politischen Hintergrund den Informationswert noch steigern. Am Ende dann ein runder Abschluss, der kurz an die Geschichte vom Einstieg anschließt. Super! 2. Platz: Lara Brose, „Verhängnisvolles Vermächtnis“ Cordula Schuh, Handicap International: Bounmy Yen, dessen tragische Geschichte dem Leser zu Beginn des Artikels in wenigen Worten einfühlsam und verständlich erzählt wird, hat mich sehr beeindruckt. Auf seiner Geschichte aufbauend schildert die Autorin äußerst anschaulich die Problematik und die Auswirkungen des Einsatzes von Streumunition, um danach zur Politik und der Waffenindustrie überzuleiten. Anmerkungen zur unrechtmäßigen Bombardierung des neutralen Laos’ durch die CIA hätten an dieser Stelle die erlittene Ungerechtigkeit noch deutlicher gemacht. Insgesamt wird jedoch eine intensive Beschäftigung mit der Problematik deutlich. Weiter so! 3. Platz: Silvia Vogelsang, „Eine Bombe, tausend Splitter“ Andreas Zumach, taz: Der von der Autorin gewählte Einstieg über einen laotischen Diplomaten, der das Abkommen zum Verbot von Streumunition unterzeichnet, ist einzigartig unter den eingesandten Wettbewerbsbeiträgen. Ihre Beschreibung der Funktionsweise der Streubombe ist sehr verständlich. Und sie macht deutlich, dass diese Waffen nicht erst als liegen gebliebene Blindgänger eine große, unberechenbare Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen, sondern auch schon, wenn sie, wie eigentlich vorgesehen, gleich nach ihrem Abwurf und Aufschlag auf der Erde explodieren. Damit wird klar, dass der Einsatz von Streubomben in jedem Fall ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht ist. Am Schluss des Beitrages schildert die Autorin eindrücklich, welche verheerenden Auswirkungen die Explosion liegen gebliebener Blindgänger bis zum heutigen Tag für die Menschen in Laos hat. Mila Brill, „Vier Wahrheiten“ Eva Maria Fischer, Handicap International: Die Autorin wählt einen sehr originellen Ansatz, den sie konsequent in ihrem Text fortführt: Ausgehend davon, dass die Mehrheit der laotischen Bevölkerung dem Buddhismus angehört, stellt sie die vier edlen Wahrheiten Buddhas in Bezug zum Leiden der Laoten an den Folgen des Krieges. Der Rahmen ermöglicht die Schilderung einiger interessanter Informationen über das Land und aller relevanten Fakten zum Thema Streubomben. Allerdings verhindert der eher abstrakte Ansatz eine emotionalere Erzählung eines persönlichen Schicksals. Dennoch ein rundes, anschauliches Konzept, das Lust zum Lesen macht!
VON JAN-HENDRIK MAUTSCH
Der siebenjährige Dam macht sich an einem sonnigen Tag im August auf, um mit seinen Freunden Hoa und Thien im Wald Honig zu sammeln. „Der frische Honig glitzert so schön im Sonnenlicht“, findet Thao, während die goldgelbe Masse Hoas Hände zusammenkleben lässt. Die Kinder scheinen eins mit der Natur zu sein. Ein Bild, das auf die westliche Bevölkerung nostalgisch wirken muss. Für die drei Kinder aus Laos ist es Alltag.
Langsam schleicht sich Hoa von hinten an Thien heran. Und zack! Da läuft Thien auch schon der Honig von der Stirn. Er versucht ihn noch mit den Händen aufzufangen, doch alles vergebens! Nach wenigen Sekunden ist Thien von unten bis oben bekleckert. Hoa und Dam lachen, während Thien bereits einen Racheplan entwickelt hat.
Plötzlich unterbricht Dam die Situation: „Wow, schaut euch das an!“ Mit offenen Mündern stehen die Kinder vor einem grauen Etwas, das so groß ist wie eine Coladose. Dams Vater hat ihn häufig vor solchen Behältnissen gewarnt, doch die Versuchung ist zu groß. Das Lächeln aus den Gesichtern der Kinder ist verschwunden. „Dam, leg das bitte wieder hin. Du weißt, was unsere Eltern gesagt haben“, ermahnt ihn die vorher noch so lustig aufgelegte Hoa. Doch Dam hört nicht: Er starrt auf die graue Dose, als gebe es nur noch ihn und sie. Hoa und Thien weichen zurück. Zum ersten Mal in ihrem Leben haben sie Angst vor ihrem Spielgefährten.
Ein lauter Knall, der noch im nächsten Dorf zu hören ist, erschüttert den Boden. Wo vorher Honig war, läuft nun eine Träne über Thiens Gesicht. Er fällt langsam auf den staubigen Boden.
In Laos liegen 12 bis 72 Millionen Streubomben-Blindgänger. Überreste aus dem Krieg im angrenzenden Vietnam. Die Streubombe kann nicht gezielt eingesetzt werden. Sie verstreut nach Abwurf aus Flugzeug oder Raketenwerfer bis zu 100 Submunitionen. Viele dieser Bomben explodieren nicht beim Aufprall auf den Boden. Oft liegt die Fehlerrate bei 40, manchmal auch bei 100 Prozent. Doch die Munition bleibt scharf. Um die Bomben auszulösen, genügt die kleinste Berührung. Ursprünglich wollten die USA damit Infrastruktur oder Militäreinrichtungen zerstören bzw. unzugänglich machen – heute sind sie gefährliche Spielgefährten für Kinder wie Dam.
Offiziellen Zahlen nach starben bisher 13.306 Menschen weltweit auf Grund von Streubomben. Experten vermuten jedoch 100.000 Tote und mehr, meist Zivilisten, davon 27 Prozent Kinder. Besonders stark ist die Bedrohung in Laos. Jedes zweite Opfer von Streubomben stirbt, wer überlebt, fristet oftmals ein unwürdiges Dasein: völlig verstümmelt. Laos ist ein armes Land. Das Bruttoinlandsprodukt pro Jahr und Einwohner liegt bei gerade einmal 580 US-Dollar. Viele wissen nichts von der Bedrohung und haben erst recht nicht die Möglichkeit, etwas gegen Streubomben zu unternehmen.
Doch es gibt auch Lichtblicke: Zu ihnen gehören die Helfer von Handicap International. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Welt von Streubomben zu befreien: Unter Einsatz des eigenen Lebens säubern sie große Teile Laos’ von Streubomben, klären die Bevölkerung auf und versorgen Streubombenopfer wie Dam. Seit dem Jahr 2000 sank die Anzahl der Streubombenopfer erheblich.
Auch weltweit tut sich etwas: Bereits 94 Staaten haben den Oslo-Vertrag für ein Verbot von Streubomben unterzeichnet, 34 sogar ratifiziert, darunter Deutschland. Am 1. August 2010 wird der Vertrag in Kraft treten. Im Gebiet der Nichtunterzeichnerstaaten wie den USA dürfen sie trotzdem weiter verwendet werden.
Am 1. August tritt endlich der Vertrag über das Verbot von Streubomben in Kraft. Nach langen Verhandlungen und Verzögerungen. Inzwischen haben ihn 107 Staaten unterzeichnet, 37 davon in nationale Gesetze umgesetzt. Die taz hat zusammen mit Handicap International dazu einen journalistischen Wettbewerb für Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren ausgeschrieben: „Leben mit Millionen Bomben in Laos.“
Warum ein Wettbewerb? Weil Streubomben eines dieser ewigen, unterschwelligen Themen sind, die es sonst kaum in die Schlagzeilen schaffen. Viele Staaten haben sie in den Arsenalen, denn mit kaum einer anderen Waffe lässt sich so leicht und schnell aus der Luft ein Landstrich verminen. Da will doch keine Armee gerne zurückstehen und auch noch öffentlich darüber diskutieren. Die fünf großen Produzentenstaaten Brasilien, China, Indien, Russland und die USA wollen den Vertrag nicht unterzeichnen.
Und warum Laos? Weil dort in den 70er Jahren die unglaubliche Zahl von 260 Millionen Munitionsteilen aus Streubomben abgeworfen wurden – während des Vietnamkriegs. An dem war Laos offiziell gar nicht beteiligt. Allerdings liefen Nachschubwege durch das Land und so geriet es unter das massive Feuer der US-Luftwaffe. Wie bei der meisten Streumunition liegen auch in Laos noch heute Mengen von Blindgängern auf den Feldern und in den Wäldern. Durch die USA werden die Reste nicht beseitigt. Nur einige humanitäre Räumtrupps arbeiten im Land, unter anderem die von Handicap International. Die Menschen haben lernen müssen, mit der tödlichen Gefahr zu leben.
Zahlreiche Einsendungen wurden von der Jury begutachtet. In ihr saßen Cordula Schuh und Eva Maria Fischer von Handicap International, taz-Korrespondent Andreas Zumach sowie Julia Seeliger, taz-Online-Redakteurin und Bloggerin. Der erste Sieger wird von Handicap zu einer Reise nach Laos eingeladen, Platz zwei bringt ein Praktikum in der taz, wer die Plätze drei und vier erreicht, darf an einem Workshop der taz-Akademie teilnehmen.
■ Zum Thema: www.streubomben.de, www.jugend.handicap-international.de ■ Die Siegertexte: www.taz.de/asien
Dank Handicap International hat Dam das Lachen wieder gefunden und ist vollständig rehabilitiert. Ein Einzelfall.
Wie lange noch?
Jan-Hendrik Mautsch (18) geht noch ein Jahr auf das Athenaeum, ein Gymnasium in der Hansestadt Stade. Er war noch nie in Asien. Daher freut er sich auf den ersten Preis, eine Reise nach Laos in diesem Herbst.