■ Der erfahrene Krisenjournalist Peter Scholl-Latour im Dialog: Den bequemen Weg wählen
Was haben Hardy „Weltenbummli“ Krüger, Zappel Marusha, 70er-Jahre-Locke Günter Netzer, Sönkelchen Wortmann und Peter Scholl-Latour gemeinsam? – Sie werben seit Januar für die deutsche Bahn AG, in fünf Spots à 40 Sekunden unter der Regie von Wim Wenders.
Daß der Celluloid-Tranquilizer mit der schwarzen Brille Krüger, Marusha, Netzer und Wortmann für Imageträger der Bahn hält, ist verständlich. Aber wie ist er auf Peter Scholl-Latour gekommen? Hatte er ihn, den aus Vietnam, Beirut, Sarajevo und der Glotze bekannten Krisenjournalisten, nach dem ICE-Unfall in Eschede vermißt? Wenders schätzt Scholl-Latour jedenfalls so sehr, daß der in jenem Bahn-Werbeclip schnarren darf: „Wenn junge und talentierte Journalisten mich um Rat bitten, dann sage ich ihnen immer das gleiche: Bei wirklich guten Stories wähle nie den bequemen Weg. Das gilt natürlich nicht für erfahrene und routinierte Journalisten...“
Scholl-Latour hat tatsächlich nicht immer den bequemen Weg gewählt; er saß sogar einmal in einem asiatischen Knast. Tatsächlich auch ist er äußerst versiert, wenn er aus seiner schußsicheren Weste heraus in die Kamera schweinsäugelt. Und deshalb hätte man ihm wohl schon längst den Titel „Peter Arnett“ verliehen, wenn er sich nicht immer so sehr als Analytiker gerierte.
Als solcher befand er sich kürzlich Im Dialog, der Hauspostille der Frauenhofer Gesellschaft, mit deren Präsident, o. Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult Dr.-Ing. E.h. Hans- Jürgen Warnecke. Da geht es im allgemeinen um die – Hallo, Mr. Huntington – Konfrontation der Kulturen; Sanktionen und Wirtschaftshilfe; das Zusammenwachsen Europas oder die Zukunft von Bildung und Wirtschaft. Und da geht es im besonderen zum Beispiel um Äthiopien, die Globalisierung oder die europäischen Eliten, von denen Scholl-Latour allerdings behauptet, daß es sie dank Schulsystem gar nicht gebe! Hervorragende Analyse oder Heißluft-Düse? Übersieht Scholl-Latour vielleicht die Eliten, weil sie seltener ihre Gesichter zu Markte tragen, weil er einem aus ihrer Mitte seines zerdeppert hat – vor laufender Kamera?
Es war während des Zweiten Golfkriegs. Damals krochen die Nahost-Wissenschaftler aus den Elfenbeintürmen, um die Vermittlung der Bilder, die vom Nahen Osten vorherrschten, nicht länger Karl May und seiner Nachgeburt zu überlassen, beispielsweise Dagobert Lindlau, Gerhard Konzelmann oder Peter Scholl-Latour. Als dieses kriegstreibende Dreigestirn – unterstützt von Bassam Tibi – an einer Fernsehsendung namens „Veranda“ teilnahm, geschah es: der fünfte Talk-Teilnehmer – und vielleicht einzige echte Experte –, der Schia-Spezialist Heinz Halm, wurde von Scholl-Latour und Co vom Allgemeinplatz gestellt. Der Grund: Halm verpackte sein Wissen in Worte, die unpopulär waren. So als erinnerte sich Scholl-Latour daran ganz genau, spricht er Im Dialog: „Man kann die Dinge sehr viel einfacher ausdrücken [..], aber diese Form der Bescheidung findet man heute kaum noch.“ Während Konzelmann bald von dem Islamwissenschaftler Gernod Rotter als Plagiator entlarvt wurde, verkauften sich Scholl-Latours Bücher und Filme, die expertlich-bescheidene Titel wie „Das Schwert des Islam“ tragen, auch weiterhin. Mal vergleicht er die ägyptischen Panzer im Sechs-Tage-Krieg mit den Kampfwagen des Pharao; mal sieht er in der angeblichen radikalen Islamisierung der Turkrepubliken Zentralasiens einen „neuen Tatarensturm“ (alle weiteren „unberechenbaren Leidenschaften der islamischen Massen“ finden sich in „Das Schwert des Experten“, Palmyra-Verlag; 1993). Vielleicht, weil er, so erklärt er Im Dialog, „seine schreibende Tätigkeit ganz unter das Motto von Montaigne“ gestellt hat: „Ich lehre nicht, ich erzähle.“
Einst Reporter-Mufti, nun nur noch Journaille-Grufti: Weil für Scholl-Latour der ICE längst abgefahren ist, singt er heute – gefragt oder ungefragt – am liebsten Loblieder auf sich selbst. Man sollte ihn darin unterstützen. Hier ein Lied für ihn: „Ich bin Peter Scholl und liebe la tour/ ob Asien, ob Nahost/ Hauptsache sie geht ab – die Post pur./ Ich bin Peter Scholl und liebe la tour/ ob Rebellengast, ob Regierungsknast/Hauptsache ohne Rast – Krieg nur./ Ich bin Peter Scholl und liebe la tour/ ob Malaria, ob Pest/ Hauptsache ein Blutfest – scheiß auf die Ruhr!“ Björn Blaschke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen