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Der endlose „Weg der Märtyrer“

Die heilige Stadt Najaf wurde schon im Krieg gegen den Iran Ziel Tausender von Trauerprozessionen und ist es jetzt wieder/ Die Schiiten stellen den Großteil der Bodentruppen und damit auch der „Märtyrer“/ Die Wirtschaft der Pilgerstadt liegt brach  ■ Aus Najaf Khalil Abied

Am Ufer des Schat-al-Arab, wo in der Nähe der südirakischen Großstadt Basra die beiden großen Ströme des Landes, Euphrat und Tigris, zusammenfließen, stehen 90 Denkmäler für irakische „Helden“, die im Krieg gegen den Iran gefallen sind. Das Schat-al-Arab war eines der zwischen beiden Ländern umstrittenen Gebiete, um die in dem achtjährigen Krieg gekämpft wurde. Die Statuen zeigen mit dem Finger alle in eine Richtung, nach Iran: „Von dort kommt die Gefahr, dort sind die Feinde.“ Aber jetzt hat sich ihre Bedeutung gleichsam verkehrt: Aus dem Iran, von den Friedensbemühungen der Teheraner Regierung, wird Hilfe erhofft.

Die Straße von Basra nach Najaf, rund 100 km südlich von Bagdad, hat während des Krieges gegen den Iran den Beinamen „Weg der Märtyrer“ erhalten, weil auf ihr jeden Tag Dutzende, wenn nicht Hunderte von getöteten Soldaten nach Najaf gebracht wurden. Denn Najaf, wo das Grab des geistlichen Oberhaupts der Schiiten, Imam Ali, liegt, ist eine heilige Stadt für alle Schiiten, und es ist Tradition, die Verstorbenen nach Najaf zu bringen und hier für sie zu beten. Mit dem Ende des Iran-Kriegs verlor die Straße ihren kriegerischen Beinamen, doch nur für kurze Zeit.

Heute soll die Straße wieder „Weg der Märtyrer“ heißen. Auf der vierstündigen Fahrt von Basra nach Najaf passieren wir knapp ein Dutzend Autos, die Totenbahren mit Opfern des gegenwärtigen Krieges tragen. Dabei lassen sich die zivilen Opfer von den gefallenen Soldaten durch die Hüllen der Totenbahren unterscheiden: Die Leichname der Soldaten, der „Märtyrer“, sind in die Fahne des Iraks gehüllt, die im Krieg gestorbenen Zivilisten in eine grüne Decke, auf die Verse aus dem Koran geschrieben sind.

Die Schiiten, die vor allem im ärmeren Süden des Iraks leben, machen mit 60 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe des Landes aus. Sie stellen auch den Großteil des Fußvolks der irakischen Truppen und damit auch den Großteil der gefallenen Soldaten, der „Märtyrer“ des Kriegs. Um Unterstützung in der schiitischen Bevölkerung zu gewinnen, bezahlte die Regierung in Bagdad während des Kriegs gegen den schiitischen Iran Millionen von Dollars für die Restauration und Ausschmückung der wunderschönen Moschee von Najaf, in der das Grab des Imam Ali liegt. Schließlich hatte in dieser heiligen Stadt der Schiiten auch Ajatollah Chomeini während seines Exils gelebt, bis er von der irakischen Regierung — kurz vor Ausbruch der islamischen Revolution im Iran — vertrieben wurde.

Der Vorhof der Moschee ist aus kostbarem Marmor. Hier warten Hunderte von Männern, Frauen und Kindern, die Familienangehörigen der Toten, darauf, das Grab des Imam Ali berühren zu können. Auch etliche Soldaten in Uniform sind darunter. Zwei Männer tragen eine Totenbahre auf dem Kopf, hinter ihnen geht ein Geistlicher, der Verse aus dem Koran liest, dahinter geht die Familie, die Männer zuerst, dann die Frauen. Die Männer geben sich beherrscht, aber die Frauen weinen und schlagen sich ins Gesicht als Ausdruck bitterster Trauer.

Der Basar neben der Moschee ist fast leer. Die Händler und Kaufleute vermissen ihre Kunden, die aus allen irakischen Städten und früher auch aus dem Iran kamen. Denn die Wirtschaft der 700.000-EinwohnerInnen-Stadt stützte sich vor allem auf den religiösen Tourismus. Alle Hotels und Restaurants der Stadt sind geschlossen, nur ein paar Grillrestaurants bieten Kebab und Tekka an. Durch den Krieg und den Benzinmangel kommen kaum noch Besucher in die Stadt. Vor Kriegsbeginn kostete die Reise von Bagdad nach Najaf rund 50 Dinar, heute kostet sie mit dem Taxiservice das 10fache, wenn es schwierig ist, Benzin zu finden, auch das 20fache. Für die „Märtyrer“, die gefallenen Soldaten, werden die Kosten von ihrer Armeeeinheit gezahlt, und die Familie bekommt fast 1.000 Dinar für die Kosten des Trauerfeuers.

Auch Najaf wurde ein Opfer der Luftangriffe, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie etwa Bagdad oder Basra. Mehrere zivile Wohngegenden wurden bombardiert. Im Al-Oumara-Viertel sah ich fast 30 zerstörte oder beschädigte Häuser, 20 Menschen starben und 25 wurden verletzt. Die irakische Bevölkerung hatte geglaubt, daß die USA und ihre Verbündeten die Stadt wegen ihrer religiösen Bedeutung nicht bombardieren würden. So war die Familie Haboubi, eine reiche Bagdader Familie, zu Kriegsbeginn aus der Hauptstadt in ihre kleine Villa in Najaf geflüchtet. Eine Bombe traf das Haus und tötete die 14 Familienmitglieder.

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