Der demokratische Umbruch in Kroatien vollzieht sich schnell: Von Tudjman redet keiner mehr
Mit Stipe Mesić liegt ein Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen in Kroatien vorne, der lange Zeit nicht mehrheitsfähig schien. Schließlich war er berüchtigt für seine beißende Kritik an dem „Vater der Nation“, Franjo Tudjman, und für seine Kritik am Krieg gegen Bosnien-Herzegowina. Doch jetzt ist der von den Medien jahrelang Totgeschwiegene zum erklärten Liebling der Nation geworden. Und das, ohne ein Abweichen von seinen Positionen auch nur anzudeuten.
Mesić ist ein Mann zum Anfassen, einer der mit 65 Jahren fernöstliche Sportarten trainiert, der mit der Zeitung im Kaffeehaus sitzt oder zusammen mit seinen Bodyguards öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Dabei sind die Kroaten anderes gewohnt.
Die Präsidenten Tito und Tudjman lebten in Schlössern, umgaben sich mit lächerlichem Pomp und hielten Abstand zum Volk. Aber vielleicht gerade deswegen spricht heute über Tudjman niemand mehr. Es ist, als läge seine Epoche schon lange zurück, als habe sie nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun. Der demokratische Umbruch in Kroatien vollzieht sich rasend schnell und ist allumfassend. Und dazu gehört, dass die bisherige allmächtige Regierungspartei HDZ am Auseinanderfallen ist. Selbst der ehemals populäre Außenminister Mate Granić konnte den Machtverfall nicht aufhalten. Er wird wohl bald aus dem von der Staatsanwaltschaft bedrohten Karriereverein HDZ aussteigen.
Dass sich bei den Stichwahlen am 7. Februar zwei profilierte Oppositionspolitiker wie Stipe Mesić und Drazen Budisa gegenüber stehen, rundet das Bild ab. Obwohl Budisa nicht ganz abzuschreiben ist – viele Anhänger der HDZ werden wohl für ihn stimmen – gilt der kompromisslose Mesić als Favorit für das Präsidentenamt. Nicht nur, weil er persönlich einnehmender als sein Gegner ist, sondern auch deshalb, weil die Wähler eine Machtbalance wollen.
Gewann das größte Oppositionsbündnis aus Sozialdemokraten und Sozialliberalen die Parlamentswahlen, so soll nun Mesić als Vertreter des kleineren Koalitionspartners, des Bündnisses aus vier zentristischen Parteien, dem künftigen Premierminister Ivica Racan Paroli bieten. Stimmte die Mehrheit der Kroaten für dieses Modell, und dafür spricht vieles, bewiesen sie demokratische Reife. Die Zeiten der Einparteienherrschaft in Kroatien sind auf jeden Fall längst vorbei. Und noch etwas: Korrupte Politiker und Generäle werden zittern müssen.
Erich Rathfelder
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