: Der bürgerliche Brechreiz
Yasmina Rezas neue Boulevard-Komödie „Der Gott des Gemetzels“ in einer Woche in Duisburg und Bochum. So kann der Zuschauer einmal Uraufführung mit Deutscher Erstaufführung vergleichen
VON PETER ORTMANN
Wenn heute Abend bei den 30. Duisburger „Akzenten“ der Vorhang im Theater aufgeht, dann gibt es ein Gemetzel. Das Schauspielhaus Zürich zeigt, was man sich in der Schweiz unter dem diesjährigen Motto „Normal“ vorstellt. Jürgen Gosch, dessen „Macbeth“ in Düsseldorf zum blutrünstigen Theaterskandal geriet, inszenierte für Matthias Hartmann Yasmina Rezas neueste Boulevard-Komödie „Der Gott des Gemetzels“. Gerade war die Uraufführung auch beim Theatertreffen in Berlin zu sehen.
Elmar Goerden, Hartmanns Nachfolger am Bochumer Schauspielhaus musste sich dagegen Ende April mit der Deutschen Erstaufführung begnügen. Hier inszeniert von Burghart Klaußner. Nächster Termin ist Pfingstmontag. Ein so direkter Vergleich ist für Theaterliebhaber in NRW selten möglich. Gemetzel also auch zwischen Zürich und Bochum, zwischen Hartmann und Goerden? Nein. Die Inszenierungen sind sich sehr ähnlich, was auch am Stück liegt, das wenig Bühnenbild und Requisiten erfordert, dafür aber vier sehr gute Schauspieler. Und die gibt es nun mal in Zürich und Bochum gleichermaßen.
Reza zeigt, wie dünn die zivilisatorische Haut ist, ohne dafür Gänse zu bemühen: Zwei Elternpaare treffen aufeinander. Kultiviert, interessiert und beruflich erfolgreich. Dumm nur, dass ihre Kinder noch nicht soweit sind und sich einfach geprügelt haben. Einer hat dem anderen dabei zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Jugendbande hin oder Petze her. Nun trifft man sich artig bei Espresso und Clafoutis mit Äpfel und Birnen, um den Vorfall pädagogisch wertvoll aus der Welt zu schaffen. Da Yasmina Reza wie schon bei „Kunst“ kein Klischee auslässt, ahnt der Zuschauer schnell, wohin der Hase läuft. Unter der Oberfläche der scheinbar bürgerlichen Gesellschaft lauert die rohe Gewalt, wenn sie dort auch immer verpönt wird: Und so strömt die nervöse Kotze lustig über unwiderbringliche Bildbände, ein unter Mühen konfiguriertes Handy versinkt im Blumenwasser. Die ach so große Kultiviertheit verliert schnell die Kontrolle. Und so ergänzen sich die bösen Fetzen bald zu einen Feuerwerk komödiantischer Einfälle, denn der Glaube an den Gott des Gemetzels bricht sich seine Bahn. Diabolischer Humor ist das nicht. Eher die boulevardeske Bestätigung dessen, was gesellschaftspolitisch Interessierte immer schon gewusst haben: Die Clafoutis-Fresser sind das eigentliche Problem für Alles. Denn nebenbei wird Vater Alain (der mit dem Handy) als skrupelloser Jurist für einen Pharmakonzern mit einem gesundheitsschädlichen Medikament geoutet und Mutter Véronique schreibt ein Buch über Darfour, nachdem sie sich schick ein paar Monate mit Afrika beschäftigt hat. Dass das Stück ausgerechnet in Frankreich spielt, wo ab und an ein paar Autos brennen, bleibt eigentlich auch Plattitüde. Eine kulturelle Bereicherung könnte das Stück also nur für die Protagonisten des so genannten Stammtisches sein, sofern sie überhaupt ins richtige Theater gehen. Ein Publikums-Renner wird es für die auf jeden Fall.
Ob nun Michael Maertens in Zürich oder Klaus Weiss in Bochum den besseren Pharmavertreter spielen, ob Imogen Kogge oder Dörte Lyssewski das bessere Muttertier verkörpern, das muss der Zuschauer in Duisburg selbst entscheiden.
Heute, 19:30 Uhr, Theater Duisburg Infos: 0203-3009100 28.05., 19:00 Uhr, Schauspiel Bochum Infos: 0234-33335555