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Archiv-Artikel

Der alte neue Baustoff Lehm

Lehmhäuser gelten in Mitteleuropa als Rarität. Dabei könnten Gebäude aus dem uralten Baustoff bald eine Renaissance erleben: Deren Ökobilanz nicht nur dank bester Wärme-Isolation ist hervorragend. Doch noch bremst die Betonlobby

AUS MUCH LUTZ DEBUS

Das Gerippe sieht aus, als hätte man versucht, das Modell eines Hauses aus Zahnstochern zu erstellen. Aus der Nähe betrachtet erkennt man dann aber doch recht massige Holzbohlen, die, ein dichtes Gitter bildend, auf einem Steinsockel stehen. In der Gemeinde Much, östlich von Köln im Bergischen Land gelegen, entsteht eine mitteleuropäische Rarität: ein Lehmhaus.

In den nächsten Wochen werden die Zwischenräume mit einer Masse aus Lehm und Holzhackschnitzeln ausgefüllt. Dieser Leichtlehm, so erklärt Herbert Schmitz, könnte der Baustoff der Zukunft sein. Der Architekt hat seit 1980 etwa 30 Lehmhäuser gebaut. Von außen unterscheiden sich seine Objekte nicht von anderen mit herkömmlichen Materialien gebauten Häusern. Durch das Holzständerwerk sind die statischen Möglichkeiten denen der Betonarchitektur vergleichbar – Lehmbauten müssen nicht knubbelig und hundertwässrig aussehen. „Auch Häuser im Bauhausstil wären möglich“, schmunzelt der 48-Jährige.

Bis auf Stromleitungen und Plastikrohre werden die von ihm geplanten Gebäude nur aus Naturmaterialien hergestellt. Sogar der Innenanstrich der Wände besteht aus natürlichen Pigmenten – und Magerquark. Ein Haus aus Lehm könne quasi rückstandsfrei wieder abgebaut werden, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Wichtiger aber ist die günstigere Herstellung des Baustoffs: Während Zement und Bausteine sehr energieaufwändig produziert und zur Baustelle transportiert werden, könne man ein Lehmhaus zu großen Teilen aus dem bauen, was auf dem Grundstück sowieso zu finden ist und sogar kostspielig abtransportiert werden muss.

Wenn eine Energiebilanz eines Hauses erstellt wird, erklärt Herbert Schmitz, müsse man die so genannte Rucksackenergie, also auch die Energie, die zum Bauen und später zum Abriss benötigt wird, mit einrechnen. Lehm und Holz hätten eine wesentlich bessere Ökobilanz als Ziegel und Zement. Ein Albtraum für gierige Energiemultis sind auch die Heizkosten: Lehm ist ein guter Wärme-Isolator. Sein eigenes Lehmhaus hat Architekt Schmitz mit einer Solaranlage auf dem Dach und einer Holzpelletheizung im Keller ausgestattet. Mit den 400 Euro Heizkosten im Jahr kann er gut leben.

Lehmhäuser sind übrigens keine neue Erfindung. Der biblische Turm zu Babel soll aus Lehm gebaut gewesen sein und eine recht stattliche Höhe erreicht haben. Ob dieser Baustoff wegen der laut Überlieferung während des Baus auftretenden Kommunikationsschwierigkeiten ein Schattendasein fristet? Fest steht, dass überall auf der Welt dennoch erfolgreich mit Lehm gebaut wird. Berühmt ist das „Manhattan der Wüste“, die über 30 Meter hohen, wegen ihrer guten Kälte-Isolation sehr komfortablen Häuser von Shibam im Jemen. Aber nicht nur im heißen und trockenen Wadi Hadramaut, auch in berüchtigten Feuchtgebieten hat der Lehmbau Tradition. Schon die Germanen lebten in Lehmhütten. Auch traditionelle Fachwerkhäuser wurden aus Lehm gebaut.

Massivlehmhäuser wurden erst in Folge der Französischen Revolution für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich und populär. In Preußen förderte Friedrich der Große diesen Gedanken. Mit Beginn der Industrialisierung gewann der gebrannte Ziegel endgültig das Rennen um die Gunst der Bauherren, galt als moderner.

Eine kleine Renaissance erlebte der Lehm in Folge des Brennstoffmangels in Deutschland kurz nach den Weltkriegen. Wer eine Lehmsiedlung ähnlich der von Schlumpfhausen oder der des unbesiegbaren gallischen Dorfes bewundern will, sollte die Wälder nördlich von Bünde bei Bielefeld durchstreifen. Dort hatte Pastor Bodelschwingh, ein Verwandter des Anstaltsgründers aus Bethel, für seine sozialen Projekte in den frühen 1920-er Jahren ein kleines Dorf ganz aus Lehm errichten lassen. Seine Nachfahren exportieren dieses Know-how noch heute, um Not leidenden Menschen zu helfen. In den letzten Jahren wurden einige Lehmhäuser in der Ukraine erstellt, um Opfern der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gesundes Wohnen zu ermöglichen. Lehmbauten benötigen wenig Kapital, dafür viel Arbeitskraft. Und die gibt es in der Ukraine und in Weißrussland im Überfluss.

Aber auch für Mitteleuropäer, die mit gut gefüllten Terminkalendern Schwierigkeiten haben, Häuser in Eigenarbeit aus Lehm zu bauen, gibt es finanziell interessante Alternativen. Lehm wird inzwischen von manchem Anbieter als Baustoff frei Haus geliefert. Jeder Bauunternehmer könnte seine Objekte mit Lehm erstellen. Baubehörden geben inzwischen gerne grünes Licht für den ökologischen Baustoff. Mit 250 Euro pro umbauten Kubikmeter ist ein Lehmhaus durchaus konkurrenzfähig.

Privatkunden wie große Bauträger aber trauen sich an die Technik nicht heran. Mancher Bauherr hat vielleicht noch eine Szene aus seiner Kindheit in Erinnerung: In einer Geschichte des Bilderbuchbären Petzi baut die Figur mit der blauen Pudelmütze ein Haus aus Lehm unter einer Palme. Doch schon nach dem ersten Regen laufen die kleinen Helden völlig eingematscht und obdachlos panisch umher. Herbert Schmitz kann da beruhigen. Sowohl eine Holzverkleidung wie auch ein Kalkputz hält Wasser und Feuchtigkeit von den Wänden fern.

Eigentlich bedürfte es nur eines Bewusstseinswandels. Doch im Gegensatz zu Beton hat Lehm keine Lobby. Mit einem Material, das fast überall vorkommt, lässt sich kein großer Gewinn erzielen, und die Stein- und Zementindustrie in Deutschland ist in Händen weniger internationaler Konzerne. So wird es also noch einige Zeit und viel Überzeugungsarbeit brauchen, bis die Kolonnen der Betonmischlastwagen nicht mehr die Straßen verstopfen.