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Der alltägliche Faschismus

■ „Arbeit macht frei“ auch noch 1987 / Prozeß gegen einen 32jährigen Butzbacher Vollzugsbeamten wegen Beleidigung und Rassendiskriminierung eines inhaftierten Sinto / Die „Gnade“ der späten Geburt

Von Manfred Moos

Butzbach (taz) - „Arbeit macht frei. Du weißt ja wohl, wo das stand.“ Mit diesen Worten kanzelte im Herbst vergangenen Jahres lautstark ein Vollzugsbeamter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Butzbach einen 36jährigen Sinto ab, der gegen die rüde Behandlung eines kranken Zellennachbarn durch zwei Beamte der Anstalt protestiert hatte. Der inhaftierte Sinto wußte sehr wohl, wo der Spruch gestanden hatte, der dem inzwischen 32jährigen Staatsdiener so locker über die Lippen gegangen war: über dem Lagertor des Konzentrationslagers Auschwitz. Dort also, wo Tausende von Sinti und Roma, im Volksmund „Zigeuner“ genannt, in die Gaskammern geschickt wurden. Der Sinto reagierte auf die ungeheuerliche Äußerung des Justizbeamten mit einer Klage wegen Beleidigung und Rassendiskriminierung - eine schärfere juristische Waffe gegen Entgleisungen wie der geschilderten gibt es nicht. Zweimal wurde in den letzten Monaten bereits in Butzbach über das Auschwitz–Zitat zu Gericht gesessen. Ohne Ergebnis, denn der angeklagte „Assistent im Justizvollzugsdienst“ stritt in dem Strafverfahren zunächst einmal alles ab. Er interessiere sich nicht für Politik, sei ja auch erst 1955 geboren worden und habe leider in der Schule gefehlt, als der Nationalsozialismus durchgenommen worden sei, sagte der 32jährige vor Gericht. Beim nun anstehenden dritten Termin am Montag, 2. November, um 9 Uhr vor dem Amtsgericht Butzbach wird deshalb vor allem mit Spannung die Aussage des Butzbacher JVA–Leiters Metz erwartet. Der Regierungsdirek tor, der als Zeuge geladen ist, wird den Widerspruch zwischen einem Aktenvermerk, den er am 24. November 1986 erstellte, und seiner Zeugenaussage vom 20. August dieses Jahres erklären müssen. Während Metz in dem handschriftlich verfaßten Vermerk ausdrücklich darauf hinweist, daß er „mit Herrn P. den Sachverhalt erörtert und den Beamten eingehend belehrt und ermahnt“ habe, wurde er neun Monate später vor Gericht von Gedächtnisschwund geplagt. Der Regierungsdirektor konnte sich plötzlich nicht einmal daran erinnern, ob der angeklagte Beamte seinerzeit überhaupt über den Sachverhalt und die Anzeige des Sinto informiert worden sei. Unklar bleibt vorläufig, warum der Butzbacher Knastchef vor dem Amtsgericht zugunsten seines Beamten zum Mittel der Gedächtnislücke greifen mußte und sich deshalb in Widerspruch zu seinem ei genen Aktenvermerk brachte. Denn der Vermerk an sich ist bereits so formuliert, daß sich dem neutralen Beobachter der Verdacht aufdrängt, er sei nur zur Reinwaschung des jetzt angeklagten Vollzugsbeamten angefertigt worden. Unter anderem heißt es in dem Vermerk, der Angeklagte habe den Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht in Konzentrationslagern gar nicht bedacht. Er habe den Satz „Arbeit macht frei“ nur als allgemeine Redewendung gebraucht. Und der Nachsatz, „Du weißt ja wohl, wo das stand“, soll er laut dem Metz– Protokoll folgerichtig überhaupt nicht gesagt haben. Bemühungen, von Metz selbst Erhellendes zu erfahren, schlugen bislang fehl. Eine telefonische Anfrage wurde von dem Mann aus Butzbach schnell als Versuch enttarnt, „in ein schwebendes Verfahren einzugreifen. Davor kann ich Sie nur warnen.“ Auch wenn sich der genaue Sachverhalt vor Gericht vielleicht noch klären wird (neben Metz sind zwei weitere Zeugen, darunter der Ex–Zellennachbar des 36jährigen Sinto geladen): Ob dem beleidigten Sinto so etwas wie Gerechtigkeit widerfahren wird, bleibt abzuwarten. Immerhin kann er seine Interessen als Nebenkläger vertreten lassen, denn wegen „öffentlichen Interesses“ wird die Strafsache von der Staatsanwaltschaft als Hauptklägerin geführt. Doch seine Teilnahme am Verfahren wurde im August bereits einmal durch eine plötzliche Verlegung nach Kassel verhindert. Der Antrag seiner Anwältin, den Prozeß deshalb zu vertagen, wurde damals vom Gericht mit der Begründung zurückgewiesen, er hätte sich eben nicht verlegen lassen dürfen.

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