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Archiv-Artikel

Der Zynismus steigt

betr.: „Es gibt keine Armen?“, „Ein Lebenstraum schreit nach günstigen Umständen“, taz-Dossier vom 20. 9. 06

Es ist nie mein Traumberuf gewesen, dennoch habe ich mein Studium trotz vieler widriger Umstände ernst genommen und stringent durchgeführt. Immer auch mit dem Hintergedanken, durch meine Arbeit dann ansatzweise gegen sozial ungerechte Zustände wirken zu können: Ich habe Sozialpädagogik an der Uni studiert, wenig praxisorientiert (die holte ich mir parallel in meinen Tätigkeiten) und das Ganze dann mit 1,1 abgeschlossen. Immer Tätigkeiten mit Junkies, hier speziell Frauen, viel dazu gearbeitet, Promotionsstudium darüber begonnen. Als Alleinerziehende Berufs- und Privatleben immer gut durchorganisiert; zuerst teilzeitbeschäftigt, später Vollzeit.

Was an der Uni vollmundig als Ausbildung für Leitungspositionen oder den wissenschaftlichen Nachwuchs propagiert wurde, entpuppte sich kläglich als Klinkenputzen in Einrichtungen. Wiederum trotz hervorragender Zeugnisse, Zusatzqualifikationen, guter Kontakte irgendwann Arbeitslosigkeit. Danach (mit viel Glück!) über Honorartätigkeit in eine befristete Stellung hineingerutscht, nach einem Jahr aufgestiegen zur Koordinatorin, in dieser Funktion dann – auf Steuerklasse II mit zwei Kindern – ein Nettogehalt von 1.735 Euro. Dieses Gehalt wird jetzt im Rahmen personeller Umstrukturierungen um knapp 10 Prozent gekürzt.

Da unser Arbeitgeber aus dem Tarifvertrag rausgegangen ist, genießen die älteren MitarbeiterInnen Bestandsschutz mit entsprechenden Zulagen, die neueren müssen irgendwie über die Runden kommen. Mehrere Kollegen haben trotz Vollzeittätigkeit (alles Akademiker!) diverse Nebenjobs, um ihre Familien zu finanzieren.

Nach der zweiten Befristung auf ein Jahr habe ich jetzt einen unbefristeten Vertrag angeboten bekommen, jedoch zu wesentlich schlechteren Konditionen. Da der Arbeitsmarkt derzeit im psychosozialen Bereich neben Einrichtungsschließungen vor allem Stellenkürzungen und gravierend verschlechterte Einstiegsbedingungen bietet, ist ein anderer Job geschweige denn anderes Tätigkeitsfeld trotz kontinuierlicher Suche nicht in Sicht.

Neben den finanziellen Einbußen und sowieso geringen Entgelten besteht parallel dazu ein immenser Druck der Geschäftsleitung uns gegenüber, unter Erhöhung der Fachleistungsstunden mehr Geld „einzufahren“. Der Krankenstand sowie die Fluktuation bei MitarbeiterInnen ist extrem hoch, der Druck auf Einzelne steigt, da alle Sorge um den Arbeitsplatz haben. Die Solidarität sinkt, Misstrauen und Furcht vergifteten das Arbeitsklima.

Wir beraten, unterstützen, begleiten Abhängigkeitskranke in ihren jeweiligen Lebenssituationen. Supervision für uns wurde gestrichen. Der Zynismus – Psychohygiene – unter den MitarbeiterInnen steigt, erst kommt das Fressen dann die Moral. Ach, und übrigens: Mein Arbeitgeber ist eine kirchliche Einrichtung, die sich karitativen Zwecken und der Arbeit mit Benachteiligten Menschen verschrieben hat! Name ist der Redaktion bekannt