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Der Zombie, den wir verdienen

Einen spektakulären apokalyptischen Roman legt die US-Amerikanerin Anne de Marcken mit „Es währt für immer und dann ist es vorbei“ vor

Von Michael Wolf

Von den zahlreichen Apokalypsen, die uns die Popkultur beschert hat, gehört die Zombie-Apokalypse fraglos zu den intellektuell ergiebigsten. Man hat mit ihr schon von Überbevölkerung und Kapitalismus, von der AIDS-Seuche, von Drogensucht, Revolutionen, Rassismus und ­Klassismus erzählt.

Jede Zeit bekommt den Zombie, den sie am meisten fürchtet. Er ist eine Art Generalmetapher, der für das aktuell stärkste Unbehagen einer Gesellschaft steht. Und eine zutiefst politische Figur, insofern die Gesellschaft mit dem Auftreten der fleischfressenden Monster unweigerlich in Stücke geht. Gerade in diesen Zeiten, da so viel von Disruption, von Zerstörung die Rede ist, lohnt sich jede Spekulation über den Zombie der Gegenwart, den Grund größtmöglicher Verunsicherung.

Im Roman „Es währt für immer und dann ist es vorbei“ der US-­amerikanischen Autorin Anne de Marcken ist es der Verlust. Ihre Erzählerin, ein namenloser, weiblicher Zombie, büßt schon auf den ersten Zeilen seinen linken Arm ein. Er fällt einfach ab, wohl weil ein Bindemittel verloren gegangen ist, das so einen Körper für gewöhnlich zusammenhält. Vielleicht ein Blutkreislauf, vielleicht eine Seele.

Letztere ist zwar nicht völlig verschwunden, doch haben die Untoten in dieser Geschichte offenbar den Kontakt zu ihr verloren. Mitunter erinnern sie sich bruchstückhaft an Situationen aus ihren früheren Leben, aber nie reicht die Erinnerung so weit, dass sie ihrer selbst wieder habhaft werden. Immer nur gelangen sie an den Punkt, an dem sie sicher sind, dass sie viel, unendlich viel verloren haben.

Anne de Marcken: „Es währt für immer und dann ist es vorbei“. Aus dem Englischen von Clemens J. Setz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 151 Seiten, 23 Euro

In einem Hotel vegetieren die Zombies vor sich hin, jagen ab und zu ein paar Teenager und verlieren sich ansonsten in düsteren Überlegungen über ihre Existenz. Man denkt an Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“, jenes Stück, in dem eine Gruppe Menschen nach ihrem Tod in einem Hotelsalon eingeschlossen wird, und mehr noch an die berühmte Quintessenz der Geschichte: „Die Hölle, das sind die anderen“.

Auch dieses Hotel hier ist eine Hölle, seine Bewohner können noch so viel Fleisch in sich hineinschaufeln, nie werden sie satt. Aber daran sind nicht die anderen schuld, dieses Jenseits ist nicht sozialkritisch, es ist melancholisch. Was auch immer man sich hier zuführt, was auch immer noch erlebt werden könnte, es kommt nicht heran an das, was einmal war und nie wieder sein wird: „Ich habe immer so getan, als könnte alles gut werden, weil niemand einen unendlichen Abschied aushalten kann. Abschied von Heidelbeeren, vom Meer, von den Raben, von den Pelikanen und Kiebitzen und Kormoranen. Abschied von dem Fleck aus Sonnenlicht, der jeden Tag gegen vier Uhr an die Wand im Wohnzimmer fiel. Abschied vom Geräusch deiner Schritte im Nebenzimmer.“

Der Verlust ist Thema und zugleich auch der Adressat des Textes. Die frühere Partnerin der Erzählerin wird angesprochen, ihr gilt jedes Wort, de Marckens Buch ist ein Tagebuch der Trauer, eine Schilderung des leeren, des hohlen Lebens nach der Trennung. Dabei ist jedoch unbedingt anzumerken, dass sich die Autorin ebenso sehr für die Struktur einer Metapher interessiert wie dafür, was sie bedeutet.

Die hier beschriebene postapokalyptische Welt kann mithin als das Ergebnis einer Trennung, sei es durch den Tod oder vielleicht auch nur das profane Zerbrechen einer Beziehung, verstanden ­werden. Der Roman selbst lässt sich aber ebenso als verzweifelte Suche nach einem metaphysischen Klebstoff verstehen, der den Verlust per se verunmöglicht, also nach einer Sache, ­einem Zauberspruch, irgendeinem Zeug, das etwas mit etwas ­anderem endlich sicher verbindet, das zusammenhält, was zusammengehört.

Es lohnt sich zu spekulieren, über den Zombie der Gegenwart, den Grund größtmöglicher Verunsicherung

Was das eine konkret ist und was das andere, das ist nicht die entscheidende Frage, weil der Verlust selbst und die Reaktion darauf hier untersucht werden. Wobei „untersuchen“ ein viel zu nüchternes Verb für dieses literarische Abenteuer ist, denn was de Marcken hier auf weniger als 150 Seiten an Ideen und Bildern auffährt, was sie den Genre­konventionen alles abringt, ist wirklich ein Ereignis, ist spektakulär. Schon allein die Szene, in der eine menschliche Großmutter sich sorgfältig den Arm abbindet und ihn ihrem untoten Enkel hinhält, damit er sich an ihrem Fleisch gütlich tun kann!

Dieser kurze Roman atmet eine tiefe Traurigkeit, ist dabei aber zugleich wirklich witzig und von ­Erkenntnis stiftender Skurrilität. Man versteht sofort, warum Büchner-­Preisträger Clemens J. Setz die Übersetzung verantwortet, hat doch auch er eine große Schwäche für Perspektivverschiebungen ­solcher Art.

Die Erzählerin verlässt nach einer Weile das Hotel und streift durch die entseelte USA, immer gen Westen jagt sie ihren Erinnerungssplittern nach, zerfällt dabei in Einzelteile. Bald trägt sie den eigenen Kopf an einem Stock durchs Land, schaut sich selbst von außen zu. Das Grundgefühl dieser Prosa ist die Trauer, ist die Zerrissenheit zwischen dem, was man heute zu sein hat, und dem, was man früher einmal war. Das muss man nicht, kann es aber politisch verstehen: Wenn der westliche Mensch heute noch nach etwas Sehnsucht verspürt, dann liegt das Objekt seines Begehrens in der unwiederbringlichen Vergangenheit.

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